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Russell Watson: Der Liebling der Massen

Vor fünf Jahren war er noch ein Niemand. Heute gilt der 29-jährige Russell Watson in England als Tenor des Volkes – oder schlicht als „The Voice“, übrigens auch der Titel seiner neuen Klassikpop-CD. Doch wie bewahrt ein working class hero die Bodenhaftung?

Russell Watson wuchs nahe Manchester auf. Er brach die Schule ab, jobbte an der Drehbank und sang abends in Kneipen Pop- und Musicalsongs. Irgendwann schlug ihm ein Wirt vor, „Nasty Doormat“ (= fieser Fußabtreter) zu singen – Watson entschlüsselte das fälschlich als „Nessun dorma“. Und sang. Seither wird er umwogt von Euphorie – ob in der Royal Albert Hall oder im Sydney Opera House. Er arbeitete mit Pavarotti und McCartney, traf Papst und Queen, stürmte die Klassikcharts … – und sitzt jetzt lässig wie ein Lord im Korbstuhl des Hotels. Watson ist dabei so natürlich wie die Haarfarbe der 80-jährigen Brünetten im Foyer. Gar zu gern erzählt er die Anekdote, die seinen neuen Status unterstreicht: „Als George Bush mich fragte, ob ich an Bord der Air Force One für ihn singen würde, erwiderte ich: Nein, das geht leider nicht, ich habe auch viel zu tun.“

Ist Watson einfach vorsorglich überheblich, weil er Pop und Klassik singt und deshalb von keiner Seite für voll genommen wird? Die Musikwirtschaft, meint er, sei eben besessen von Kategorien: „Für mich zählen nur gut oder schlecht. Selbst das hängt vom Geschmack des Zuhörers ab. Einige fordern: Mach mehr Klassik! Andere wollen mehr Pop“, resümiert der Liebling der Massen, „aber warum sollte ich eine Maschine reparieren, die gar nicht kaputt ist … ?“

Watson liebt beides und ist überzeugt, die Klassik zu den Arbeitern gebracht zu haben – weil er einer von ihnen ist, weil er die Natürlichkeit seiner Stimme bewahrt hat. Doch es dauert fast eine halbe Stunde, bis der wahre Russell durchscheint: jemand, der schon mal ganz unten war. „Es ist mir eine große Ehre, UN-Friedensbotschafter der zu sein“, sagt er. „Wir waren in Nicaragua, haben in Dörfern Computer eingerichtet. Da macht eine Kleinigkeit so viel aus.“ Und auf einmal wirkt er wirklich wie der nette Kerl von nebenan, als der er sich vermarktet.

Constanze Rheinholz

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