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„Wir müssen über die Männer sprechen“: Sarah Straub im Interview zu „Keine Angst“

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(Bild: Hagaff-Fotografie)

Sarah Straub veröffentlicht auf ihrem neuen Album ein Lied über sexuellen Missbrauch, den sie selbst in ihrer Jugend erlebt hat. Jetzt möchte die Liedermacherin auch zum ersten Mal darüber reden.

Frau Straub, Ihre Alben erscheinen auf dem Label von Konstantin Wecker. Der möchte nicht nur den Einzelnen verändern, sondern auch gesellschaftlich etwas bewirken. Sie sind promovierte Psychologin und praktizieren in ihrem Beruf. Wie sehen Sie das?

Sarah Straub: Die Frage ist interessant, denn in diesem Punkt unterscheide ich mich wirklich von Konstantin. Er stellt gesamtgesellschaftliche Dinge in Frage, während ich – und das kommt von meinem Beruf als Psychologin – den Einzelnen mehr in den Mittelpunkt rücke. Ich glaube auch daran, dass wir die Gesellschaft nur dann verändern, wenn jeder Einzelne von uns an sich arbeitet.

Der wichtigste Song auf Ihrem neuen Album heißt „Die Zeit heilt alle Wunda“ und geht an die Nieren. Eine Frau erzählt im Sprechgesang und im Dialekt, wie sie nach langer Zeit gegen erlebten sexuellen Missbrauch aufbegehrt. Sie macht die Tat öffentlich.

Straub: Es war für mich das intimste Thema, ich hatte gar keine andere Wahl, als ganz, ganz bei mir zu bleiben. Und das bedeutete für mich, in meinem Heimatdialekt zu singen. Es hat mich sehr viel Mut gekostet, das Lied aufs Album zu tun. Ich habe mich dafür entschieden, denn im Zuge der #MeToo-Debatte haben alle gelernt, dass es gut ist, darüber zu sprechen, um auch anderen Frauen Mut zu machen. Im Moment bin ich wahnsinnig getriggert von der Berichterstattung über Till Lindemann, denn auch bei mir geht es um ein Machtgefälle. Es herrschen schlicht noch zu viele Vorurteile darüber, was die Entscheidungsmöglichkeiten einer jungen Frau oder einer Jugendlichen in einer solchen Situation angeht. Ich bin erst Jahre danach zur Polizei gegangen.

Das Lied schildert Ihre persönliche Geschichte? Das habe ich nicht geahnt.

Straub: Mir ist es bei der Polizei exakt so ergangen wie den Frauen jetzt wieder. Das erste, was der Polizist gesagt hat, war: Warum haben Sie nicht Nein gesagt? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Man hat manchmal nicht die Möglichkeit, Nein zu sagen, auch wenn das von außen so ausschaut. Die jungen Frauen von heute müssen unbedingt gestärkt werden, dass das nicht mehr passiert, was natürlich auch bedeutet, über die Männer zu sprechen. Über das Männerbild in unserer Gesellschaft. Es hat mich Jahre meines Lebens gekostet, darüber hinwegzukommen. Heute bin ich 37 Jahre alt, und es ist lange, lange her. Jetzt traue ich mich, darüber zu sprechen und zu singen.

Die Ich-Person des Liedes möchte ihren Opferstatus loswerden, und doch ist offen, ob dies am Ende auch gelingt.

Straub: Meine Entscheidung war: Ich kann meinen Seelenfrieden nur finden, wenn ich vergebe. Darum geht’s in diesem Lied. Dass man irgendwann dieses Opfer-Täter-Gefüge verlassen und sagen muss: Ich bin eine erwachsene, starke Frau, und derjenige tut mir sehr leid dafür, was für eine Person er ist. Dies zu erzählen, ist auch wichtig für den einen oder anderen, der mich als Musikerin oder als Demenzexpertin kennt. Ich werde in der Öffentlichkeit immer als sehr positive und sehr starke Person wahrgenommen, da ist es nicht schlecht, wenn die Menschen lesen, dass auch mir so etwas passiert ist.

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