Sex, Drugs & Rock’n’Roll? Lola Young liefert ein unbequemes neues Album

Clean-Girl-Ästhetik? Nein, danke. Nach ihrem Superhit „Messy“ meldet sich Lola Young nun mit ihrem dritten Album „I'm only f**king myself“ zurück – ein kompromisslos ehrlicher Einblick in Selbstsabotage, Heilung und das Chaos dazwischen.
In einer Zeit, in der konservative Ideale immer mehr Raum einnehmen und toxische Selbstoptimierung den Mainstream dominiert, ist eine Künstlerin wie Lola Young wichtiger denn je. Sie ist laut, verletzlich, wütend – und dabei radikal authentisch. Während andere nach Perfektion streben, zeigt sie, dass Schönheit im Chaos liegt, dass Unordnung Menschlichkeit bedeutet und dass Heilung kein gerader Weg ist, sondern von Rückschlägen, Eskapismus und Neuanfängen geprägt wird.
Von Selbstliebe und Selbstsabotage
Lolas rotzige Art und rauchige Stimme tragen das Album – mal wütend, mal ironisch, mal zärtlich, mal gebrochen, aber immer unverkennbar. Jeder Song klingt, als würde man mit einer Freundin an der Bar sitzen, während sie die peinlichsten, schmerzhaftesten und schönsten Momente ihres Lebens erzählt. Nur eben begleitet von verzerrten Gitarren, treibendem Schlagzeug und einem hohen Maß an Fuck-it-Attitüde. Das Cover macht klar, worum es geht: Lola umarmt eine Sexpuppe mit ihrem eigenen Gesicht. Selbstliebe à la Lola Young – ironisch und provokant. „I’m only f**king myself“ ist eine Reise zu einem glücklicheren Selbst, geprägt von der Auseinandersetzung mit Drogen, mentaler Gesundheit und toxischen Beziehungen.
Track by Track durchs Chaos
Der Einstieg ist so persönlich wie möglich: die Sprachnachricht einer Freundin, die über Dankbarkeit spricht und infrage stellt, wann man wahrhaftig glücklich ist – das Leitmotiv des Albums. In jedem Lied sucht Young nach Antworten auf diese Frage. Das erste Lied ist „F**K EVERYONE“: der Anfang von Lolas Reise zu ihrem neuen Selbst, welches noch sehr weit von der These „I’m only f**king myself“ entfernt ist. Lola hat keine Angst vor Provokation und steigt sexpositiv, queer, rotzig und voller Energie in ihr Album ein. „One Thing“ knüpft daran an – ein Ohrwurm und eine Single, die bereits ihr Radiopotenzial bewiesen hat. In „d£aler“ reduziert sie den Sound auf das Nötigste – Stimme im Vordergrund, minimalistisches Instrumental – und singt schonungslos über Sucht und Eskapismus. Einer der stärksten Momente ist „Penny out of nothing“. Darin singt Lola von der Maske, die sie trägt („make you think I’m fine when I’m not“), während eine simple Bassline den Song trägt und schrille Gitarren den Schmerz durchbrechen.
Andere Songs zeigen ihre ironische Seite. „Walk all over you“ klingt mit seinem 80s-Sitcom-Gitarren-Intro fröhlich, während der Text ein scharfes Statement gegen toxische Männlichkeit und Misogynie ist, die Lola nicht länger hinnimmt. „Post Sex Clarity“ bricht das Klischee des Songtitels – kein Reue-Song, sondern der Wunsch nach mehr Nähe, verstärkt durch einen explosiven Aufbau an Instrumenten. „SAD SOB STORY! :)“ kombiniert Humor und Abrechnung in einem Break-up-Song. Was andere in einen Abschiedsbrief schreiben würden (der es wahrscheinlich eh nie bis zur Post geschafft hätte), das landet bei Lola Young halt mitten auf dem Album – Grüße an den Ex gehen raus!
Ein Auf und Ab wie im echten Leben
In „CAN WE IGNORE IT?“ schreit Lola Young die Verzweiflung raus. Lola spricht brutal ehrlich über Krankheit und mentale Gesundheit – mit schneidender Dringlichkeit und Gitarrensolos. Ein spätes Highlight ist „Why do I feel better when I hurt you“, welches nach nächtlichem Schuldeingeständnis und Reue klingt, aber auch nach Erleichterung, mit einem Country-Pop-Sound, getragen von einer Slide-Gitarre. In „Not like that anymore“ erkennt man schließlich eine neue Lola: noch nicht glücklich, aber auf dem richtigen Weg. Sie ist nicht mehr von Sex oder Männern abhängig, sondern arbeitet an sich selbst und liefert damit einen Empowerment-Song mit Stadion-Refrain.
Das Finale „Who f**king cares?“ klingt roh und ungeschliffen, es wurde nicht im Studio glatt poliert – Lola bestand darauf, die auf dem Handy aufgenommene Demo auf dem Album zu platzieren. Ein ehrliches Eingeständnis, dass der Weg noch nicht zu Ende ist, aber sie aktiv den Weg zur Besserung einschlagen will. Hier gesteht Lola, dass sie noch nicht glücklich ist, aber irgendwann dahin finden will. Zu guter Letzt schließt sich der Kreis mit einem Sprachnachricht-ähnlichen Outro, gesprochen von Spoken-Word-Künstlerin Tia Shek, welche ein Gedicht über Einsamkeit und die Komplexität des Lebens. Ein poetisches, verletzliches Schlusswort – bevor sich schließlich doch noch ein letztes Mal Lola Young zu Wort meldet und das Album beendet mit den Worten: „You are an absolute cunt, that’s the end of the album. Goodbye“.
Ein Album, das unbequem ist
„I’m only f**king myself“ ist kein Album für nebenbei. Es zwingt zum Hinhören, weil es die Dinge eben nicht schönredet und auch über dunkle Zeiten auspackt. Es hält uns einen Spiegel vor und nimmt uns mit auf die Achterbahn der Heilung – voller Wut, Humor, Schuldgefühle und kleiner Triumphe. Lola Young reiht sich ein in eine Reihe britischer Künstler:innen wie Raye oder Yungblud, die radikale Ehrlichkeit zur Kunstform machen, mentale Gesundheit entstigmatisieren und vor keinem Tabu zurückzuschrecken. Das Album ist die Momentaufnahme einer jungen Frau, die sich nicht perfekt gibt, die ihre Fehler kennt und die ihren Hörer:innen Mut macht, genau damit ehrlich umzugehen. Mit der Absicht, noch in vielen Jahren junge Generationen positiv zu beeinflussen, ist Lola Young eine musikalische Stütze und ein Vorbild. Am schönsten ist die Realisation, dass es möglich ist, sich positiv zu verändern, ohne das Chaos ganz zu verlieren, sondern es auch als Teil von sich selbst zu akzeptieren. „Messy“ war der Anfang, „I’m only f**king myself “ ist das nächste Kapitel. Nicht clean, nicht perfekt – aber auf dem richtigen Weg und mit Mut sich seiner dunklen Vergangenheit zu stellen.