Sonja Kloevekorn: „Die Krise offenbart strukturelle Missstände, die endlich beseitigt werden müssen!“
Die Vorsitzende des Berufsverbandes Bund der Szenografen fordert neben Soforthilfen auch einen nachhaltigen Strukturwandel in der Kulturpolitik, der Solo-Selbstständige besser schützt.
Sonja Kloevekorn ist Vorsitzende des Berufsverbandes Bund der Szenografen. Dessen ca. 300 Mitglieder sind Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildner*innen für Theater, Szenen- und Kostümbildner*innen für Film, Fernsehen und Video, Puppengestalter*innen und Puppentheateraustatter*innen sowie Videokünstler*innen und Lichtdesigner*innen für Theater.
„Schon vor der Corona-Krise war die Berufsgruppe der Szenograf*innen in besonders hohem Maße von den Missständen des deutschen Theatersystems betroffen. Denn gerade Bühnen- und Kostümbildner*innen sind zu 89% freischaffend tätig. Die bestehenden Sozialsysteme sind jedoch auf Solo-Selbstständige unzureichend eingestellt. Wie wenig sie es sind, wird gerade jetzt in der Corona-Krise deutlich. Trotz erfolgreicher und hochprofessioneller Arbeit und einem Anteil von 72 Prozent mit akademischen Abschluß bewegt sich eine Vielzahl der Bühnen- und Kostümbildner*innen im unteren Einkommensbereich. Und in der Zeit von 2008 bis 2015 haben sich die Honorare um sechs Prozent verschlechtert! Der gesetzliche Mindestlohn greift im Bereich der freischaffenden Künstler*innen nicht. Als Folge dessen ist eine angemessene Altersvorsorge flächendeckend nicht möglich, und dem Großteil der Künstler*innen droht eine systembedingte Altersarmut. Rücklagen können nicht gebildet werden, weshalb Freischaffende in Krisenzeiten besonders gefährdet sind. Diese erhöhten Risikofaktoren sind u. a. Gründe, warum immer mehr Kolleg*innen ab vierzig den Beruf aufgeben.
Festanstellungen bieten stärkere Planungs- und Existenzsicherheit. Feste Stellen gibt es in unserer Berufsgruppe jedoch nur in Leitungspositionen, wie Ausstattungsleitung und Kostümdirektion oder für Berufsanfänger in Assistenzen. Gerade die Stellen der Ausstattungsleitungen wurden in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich wegrationalisiert. Auch auf der Ebenen der Assistenzen wurden in den vergangenen Jahren viele Stellen abgebaut. Bühnen- und Kostümbildner*innen nehmen also während ihres Berufslebens zu 89 Prozent die Rolle von Gästen ein, die an verschiedenen Theatern arbeiten.
Der Bund der Szenografen hat im März 2020 eine Blitzumfrage zur Lage von Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildner*innen, Videokünstler*innen, Lichtdesigner*innen, Puppengestalter*innen und Puppentheateraustatter*innen durchgeführt, an der wieder knapp 300 Künstler*innen teilnahmen. Die Ergebnisse der Umfrage deuten auf eine durch die Coronavirus-Pandemie ausgelöste zusätzliche Existenzbedrohung vieler Kolleg*innen hin (ein Drittel der Teilnehmer*innen kommen in eine existenzbedrohliche Lage und ein weiteres Drittel kann dies nicht ausschließen). Das aktuelle Vorstellungsverbot sowie die realistisch gesehen langfristigen Veranstaltungsausfälle konfrontieren die Freischaffenden mit dauerhaften Einnahmeausfällen, die sich in den meisten Fällen auf vollkommenen Einnahmeverlust belaufen. Denn „Gäste“ sind nicht nur von Kurzarbeit ausgeschlossen, ihnen werden die zustehenden Vergütungsansprüche aus Gründen „höherer Gewalt“ verwehrt. Abgesehen von der Frage, ob die Corona-Pandemie ein Ereignis der „höheren Gewalt“ ist, ist die Verwendung einer solchen Klausel rechtlich und moralisch fragwürdig, was nicht nur die Gewerkschaften und Künstler*innenverbände so bewerten, sondern insbesondere auch der Arbeitgeberverband der Theater, der Deutsche Bühnenverein. Die Krise offenbart, dass die Solo-Selbstständigen weniger bis keine Arbeitnehmerrechte haben.
Die versprochenen Soforthilfen und Hilfsmaßnahmen der Bundes- und Landesregierungen für Solo-Selbstständige und freie Kulturschaffende greifen leider nicht umfassend, da sie oftmals keine Lebenshaltungskosten beinhalten. Deshalb fordert der Bund der Szenografen faire Ausfallhonorare für Produktionsteams und freie Künstler*innen an öffentlichen Theatern. Staatsministerin Monika Grütters hat dies nun für Bundesmittel bewilligt, was ein wichtiges und gutes Signal ist. Da Kultur aber Ländersache ist, sind 98 Prozent der Theater von dieser Maßnahme nicht betroffen. Außerdem muss Arbeit, die bereits stattgefunden hat – Vorbereitung, Probenbeginn etc. – bezahlt werden. Ebenfalls dürfen freischaffende Künstler*innen nicht auf bereits angefallenen Reise- und Übernachtungskosten sitzenbleiben.
Wann wir zu Normalität und damit Spielbetrieb und Honorarzahlungen zurückkehren werden, ist momentan noch nicht absehbar. Es ist aber zu befürchten, dass einige Kolleg*innen die Krise nicht überstehen werden und unsere sowieso schon kleine Berufsgruppe weiter schrumpfen wird. Die KSK zählt zwischen 900 und 1 200 Bühnen- und Kostümbildner*innen, die in Deutschland versichert sind. Der Bund der Szenografen hat ca. 300 Mitglieder und bildet damit zwischen einem Drittel und einem Viertel der Berufsgruppe ab. Es ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, dass der Ausfall einer oder zwei Produktionen tatsächlich Karrieren beenden kann. Für diejenigen, die in konstanten Teams und regelmäßig an bestimmten Häusern arbeiten, wird vermutlich auch nach der Krise eine Kontinuität erhalten bleiben. Da werden Produktionen nur verschoben und dann geht es weiter. Bei den weniger etablierten Kolleg*innen, bei denen Produktionen mit zum Beispiel neuen Teams an neuen Häusern abgesagt wurden, kann das zu langfristen negativen Folgen führen.
Die Krise betrifft nicht nur die Kultur, nicht nur die Theater und nicht nur die Bühnen- und Kostümbildner*innen, sondern viele andere Menschen und Berufsgruppen. Aber wir sind eine sehr kleine Berufsgruppe, wenn wir durch die Corona-Krise Schaden nehmen, dann wird auch die künstlerische Qualität der zukünftigen Theaterproduktionen erheblichen Schaden nehmen. Dann wird die Bildende Kunst in der Darstellenden Kunst marginalisiert, und das wird sofort sichtbar sein. Denn Szenografie im Theater ist als künstlerisches Hervorbringen und geteiltes Reflektieren und Erfahrbarmachen von raum-bildenden Prozessen unverzichtbar! Deshalb brauchen wir jetzt neben Soforthilfen auch Programme, die solo-selbstständige Künstler*innen im Theaterkulturbetrieb besser schützen!“