Martin Sonneborn und Nico Semsrott: Satire schlägt Politik
Die Satiriker Martin Sonneborn und Nico Semsrott sitzen für die Satirepartei Die Partei im Europäischen Parlament – und werden ernst genommen. Ist das gut?
Vor vier Tagen hat das Europäische Parlament seine konstituierende Sitzung zur neunten Legislaturperiode begonnen. Mittendrin: die Satiriker Martin Sonneborn und Nico Semsrott. Sie wurden mit 2,4 Prozent der Stimmen für die Satirepartei Die Partei ins EU-Parlament gewählt. Was sich vor und nach der Wahl medial um die beiden abspielte, zeigt einerseits, wie ernst Satire mittlerweile im politischen Kosmos genommen wird, andererseits ist es auch ein Beleg dafür, wie kritisch Medien inzwischen politische Entscheidungen beurteilen.
Nehmen wir nur mal die Umstände, unter denen die 28 Staats- und Regierungschefs der EU sich bei der Nominierung für den Posten des Kommissionspräsidenten auf Ursula von der Leyen einigten. Die FAZ berichtete über die Verhandlungen und zitierte, als es um die ausstehende Bestätigung der Nominierten im Europäischen Parlament ging, ausschließlich aus dem DPA-Interivew mit Martin Sonneborn. Kevin Kühnert, Chef der Jungsozialisten in der SPD, zitierte als Kommentar der Personalie von der Leyen den Wahlkampfslogan der Satirepartei Die Partei – was diese natürlich begeistert retweetete:
Peter Altmaier, CDU-Politiker und Bundeswirtschaftsminister setzte heute Nacht ein „Tja“ unter einen Tweet Martin Sonneborns zur Personalpolitik des Europäischen Rates – um den Kommentar hinterher wieder zu löschen, sehr zum Vergnügen Sonneborns:
Nico Semsrott, als Kabarettist und Satiriker ein selbsternannter „Demotivationstrainer“ auf der Bühne und vor allem in der Rolle des Depressiven unterwegs, hat bereits vor der Wahl die CDU politisch vorgeführt. Nach der Wahl sprach Semsrott mit kulturnews über eine neue Aufbruchstimmung seiner Generation der um die 30-Jährigen. Und dem Neuen Deutschland erzählte der Satiriker, dass er seine Bühnenrolle auf der Bühne des Europäischen Parlaments wohl nicht aufrecht halten werde. Inzwischen hat sich Semsrott – anders als Sonneborn – der Fraktion der Grünen im EU-Parlament angeschlossen und will deren Politik voll mittragen.
Man wird in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren viel aus aus dem Europäischen Parlament hören und sehen. Semsrott und Sonneborn sind transparent, sie nutzen die Social-Media-Kanäle, lassen sich interviewen und sind selbst berichterstattend unterwegs: Sonneborn schreibt regelmäßig im Satiremagazin Titanic über die Sitzungen des EU-Parlaments und hat über die letzte Legislaturperiode bereits ein Buch veröffentlicht, Semsrott wird Videokommentare auf einem eigenen Youtube-Kanal verbreiten. Nie konnte man so viel über europäische Politik erfahren wie heute. Dass die Infos auch noch in ernsthaften Spott verpackt sind, macht sie überhaupt erst konsumabel. jw