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Sven Väth

Er ist der Chef der Frankfurter Techno-Schule: Sven Väth sorgte dafür, dass man auch in Detroit weiß, welcher Fluss durch Mainhattan fließt. Seine Alben verhalfen dem Genre zu Anerkennung sogar in Kreisen, die den Sinn des Lebens nicht nur im Tanzen sehen. Doch worum geht es Väth eigentlich mehr – um den Körper oder den Geist? Jedenfalls ums Outfit. Der wasserstoffblondierte Hesse läuft neuerdings schwarzgekleidet herum, trägt lange Ledermäntel und skandiert Texte wie „Dein Schweiß“ so martialisch, als seien ihm Rammstein zu Kopf gestiegen. Tümelt jetzt auch der Techno?

kulturnews: Sven, 15 Jahre Techno: Du hast das Genre miterfunden, mitgestaltet – und damit weltweit zu Hörschäden beigetragen. Wie geht es deinen eigenen Ohren nach all den Jahren an der Front?

Sven Väth: Na ja, das ist eine Berufskrankheit. Ich möchte das nicht nur mit Techno in Verbindung bringen. Selbst der klassische Pianist, der Jazz-Drummer, derjenige, der Violine spielt …

kulturnews: … der hat wenigstens nur links Ohrensausen …

Väth: … oder der Opernsänger, alle Leute, die live spielen, haben früher oder später Probleme, wenn sie nicht darauf achten. Und manchmal kann man nicht darauf achten; Lautstärke gehört schon mit dazu. Entweder sagt sich irgendwann der Tinnitus an – oder man schwört irgendwann der Sache ab. Ich habe im hohen Frequenzbereich Verluste, was nicht so schlimm ist. Alles noch im grünen Bereich. Aber man soll sein Unglück auch nicht suchen; ich kann der Jugend da draußen nur empfehlen, sich nicht den ganzen Abend vor die Speakers zu stellen. Das ist alles andere als gesund.

kulturnews: Benutzt du Ohrstöpsel, wenn du auflegst?

Väth: Nein. Ich habe mir zwar extra welche machen lassen, aber ich muss sagen: Das sind Fremdkörper im Ohr. Es kommt aber vor, wenn ich als Gast irgendwo hin komme, dass ich mir die Stöpsel reinstecke.

kulturnews: Kannst du den Unterschied zwischen Musiker und DJ definieren? Anders gefragt: Was bist du eigentlich?

Väth: Entertainer. Ich habe musikalische Visionen, die ich gut vermitteln kann. Bin Freigeist, bin nicht gebunden an traditionelle Musikstrukturen …

kulturnews: Das heißt normalerweise immer: Kann keine Noten lesen.

Väth: Stimmt, kann ich nicht. Ich kann mich im Studio gut erklären – eigentlich wie ein director. Als Discjockey bin ich der moderne Schamane, der die Trommel schlägt und die Leute mitnimmt auf eine musikalische Reise. Ich spiele meistens lange DJ-Sets, die ich dann sehr speziell gestalte: Es gibt eine Dramaturgie, einen Spannungsbogen, der sich aufbaut. Es wird nicht nur die ganze Zeit ein Rhythmus abgefeiert, sondern es gibt schon mal Ecken und Kanten, ich nehme das Tempo raus, baue es wieder auf und verpacke es mit meiner Mixtechnik, so dass es ineinander übergeht ohne große Pausen.

kulturnews: Boris Blank von Yello hat mir erzählt, für einen wie ihn, der keinerlei musiktheoretisches Wissen hat, sei die Suche nach den richtigen Sounds und Melodien unendlich langwierig, weil er nur nach dem Prinzip try and error vorgehen könne. Aber auf dem Weg dahin stößt er dann zufällig auf Dinge, die ihn so begeistern, dass sie am Ende auf dem Album landen. Ist das bei dir ein ähnlicher Prozess – oder vermittelst du ausschließlich deine Vision an Musiker, die sie dann umzusetzen haben?

Väth: Wir lassen uns auf einander ein. Es ist nicht wirklich klar definiert, was am Ende dabei herauskommt. Wie du eben sagtest: Bei der Suche stolperst du über einen Stein, und du denkst: Oh, der gefällt mir aber gut – lass uns doch mal hier weiter machen. Daraus entstehen Sachen, die eine Eigendynamik bekommen. Oftmals ist es im Studio eine Jam-Session.

kulturnews: Auf deinen Alben verlässt du häufig die traditionelle Schroffheit des Techno und begibst dich auf eine ganz neoromantische Weise auf die Suche nach Schönheit.

Väth: Ich mag’s gern wild und extrem. Aber genauso bin ich auch ein Harmoniemensch und suche oftmals den perfekten Klang, den perfekten Ton, die perfekte Melodie, die zum Meditativen führt. Es sind zwei Extreme, die in mir sind, die ich immer auf einen Nenner zu bringen versuche. Wie Yin und Yang. Auch auf dem neuen Album geht es abstrakt zur Sache, dann aber wieder sehr melodisch. Es gibt sogar richtige Songstrukturen.

kulturnews: Diese Vielfalt wird von Techno-Künstlern, ob sie jetzt Väth oder Laurent Garnier heißen, neuerdings geradezu ausgestellt – offenbar, um nachzuweisen, dass man die Schlichtheit des Techno verlassen hat, dass man im Grunde doch „anspruchsvolle“ Musik spielen kann …

Väth: Das ist nicht der Grund. Es ist das musikalische Interesse. Es ist die Musik selbst. Dass wir DJs unsere eigene Musik produziert haben in den 80ern, lag einfach daran, dass es zu wenig DJ-Musik gab. Das Mixen, das Equipment: Alles hatte sich so verfeinert, dass wir sagten, mein Gott, jetzt brauchen wir nur noch die Musik dazu. Durch die Technologie ist der DJ immer mehr mit der Notwendigkeit konfrontiert worden, mit der Tanzfläche im Auge seine eigene Komposition zu kreieren. Es war eigentlich ein logischer Schritt. Wir reagieren nun mal auf die gerade base drum, das ist ja auch unser Herschlag – bum, bum, bum –, darauf bewegt sich auch meine Oma …

kulturnews: … aber nicht auf 150 Schläge pro Minute …

Väth: Na ja: Rock‘n’Roll-Songs, auf die unsere Eltern damals getanzt haben, waren zwar gebrochen, aber die gingen bis auf 160, 170 Beats. Das waren zwar andere Rhythmusstrukturen, aber vom Tempo her waren die alle ziemlich schnell – Twist und solche Sachen. Beim Techno wird halt die gerade base drum mehr betont. Bei meinen letzten Alben habe ich es aber als Aufgabe empfunden, musikalisch etwas Zeitloses zu kreieren – natürlich mit Hilfe der Elektronik. Songs schreiben im klassischen Sinne macht unheimlich viel Spaß.

kulturnews: Mit der neuen Single „Dein Schweiß“ orientierst du dich an Klassikern des New Wave wie DAF, aber auch am Deutschtümelnden von Rammstein oder Witt. Kokettierst du mit der Provokation?

Väth: Ich sehe mich nicht in der Nähe von Rammstein. Dass die so erfolgreich sind in Amerika, liegt wohl daran, dass der Amerikaner die Deutschen gern so sieht, wie sich Rammstein präsentieren. Aber das geht an mir vorbei.

kulturnews: „Dein Schweiß“ könnten Rammstein jederzeit spielen. Würde in ihrem Programm nicht auffallen.

Väth: Weil es auch eine gewisse Härte hat, ja. Aber ich sehe eher die Verbindung mit der deutschen elektronischen Vergangenheit, sprich Kraftwerk, Fehlfarben, DAF …

kulturnews: Speziell DAF haben damals ebenfalls bewusst die Provokation gesucht mit „Tanz den Mussolini“ …

Väth: Das ist richtig. Bei „Dein Schweiß“ steht aber im Vordergrund der Tanz, die Härte. Außerdem: Wir haben doch eine geile Vergangenheit, was unsere elektronische Musik angeht. Da stehe ich voll dazu. Die Amis pochen auf ihren Rock’n’Roll, Blues, HipHop und Soul. Und ich weiß, woher ich komme, habe auch einiges dafür getan. Deshalb habe ich auch gesagt: Dieses Projekt wird das deutscheste Projekt – wenn auch mit leicht ironischem Ton. Ich bin gespannt, wie im Ausland die Reaktion ist. Generell ist deutsch, glaube ich, sehr angesagt.

kulturnews: Bist du ein politischer Mensch?

Väth: Wenn ich mir die Politik so anschaue, dann sträubt sich alles bei mir. Ich versuche, in meinem Umfeld alles harmonisch ablaufen zu lassen. Ich finde die Message meiner Musik auch sehr tiefgründig im spirituellen Sinne: contact auf allen Ebenen. Sie hat viele sozialen Aspekte, ich bringe viele Leute zusammen. Mein politisches Credo geht eher in die grüne Richtung. Ich versuche, sehr auf unseren Planeten zu achten. Meine Tochter ist zehn, da macht man sich solche Gedanken.

kulturnews: Du betonst sogar deine lokale Herkunft sehr stark. Auf deinem T-Shirt steht: „Lives and works in Frankfurt a. M.“

Väth: Ich mag halt mein Frankfurt. Obwohl’s mir allmählich zu bänkisch wird. Ich gebe an alle unsere Künstler die Parole aus: Wir machen gute Kunst in Frankfurt, hier passiert viel, wir haben es geschafft, in dieser Stadt unsere Visionen auszuleben – was man ja nicht überall kann. Den Musikstandort Deutschland lerne ich deshalb immer mehr zu schätzen. Wir haben keine Probleme gehabt, uns eine komplett neue Musikbewegung aufzubauen – samt Strukturen wie Magazinen, Radios, Labels. Wir haben mit der Regierung keine Auseinandersetzungen gehabt

kulturnews: Du scheinst stolz darauf zu sein, den Markennamen „Frankfurt“ mitgeprägt zu haben.

Väth: Ja. Auch mein T-Shirt ist ein Aufruf an die artists, dazu zu stehen, woher man stammt. Es gibt ja gerade diese Aufbruchstimmung – Berlin, Berlin, Berlin. Ist ja auch spannend, jetzt nach Berlin zu gehen; nichts ist festgelegt, man kann noch seine Nische schaffen. Trotzdem finde ich mein Frankfurt gut.

kulturnews: Seit 50 Jahren dominiert die Gitarre die Jugendkultur Pop. Ist die Elektronik gerade dabei, die Führerschaft zu übernehmen?

Väth: Die Gitarre wird immer da sein. Das Gros der Musik wird aber heute schon elektronisch produziert. Der Synthesizer ist das Instrument zur Zeit.

kulturnews: Angenommen, du könntest mal ein sehr ernstes Wörtchen mit Blümchen reden …

Väth: Ich glaube, ich würde ihr sagen, sie soll schauen, dass sie nicht ausgepresst wird wie eine Zitrone. Seit 15 Jahren bin ich dabei, habe Milli Vanilli mitbekommen und Samantha Fox. Mir tun die artists meistens Leid, weil ich weiß, wie’s dahinter aussieht, welche Mächte da am Walten sind, in welche Uniformen sie gepresst werden. Was Blümchen angeht: Ich würde nie sagen, Leute wie sie machen Scheiße. Ich hoffe, dass es ihr dabei gut geht.

Interview: Matthias Wagner

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