Szczepan Twardoch: Drach
Wenn einer die Erde erzählen lässt, und die Erde sich einen Scheiß um die Zeitläufte kümmert, weil sie halt ewig währt und ihr ein Menschenleben nichts ist, wie sieht dann die Erzählung aus? Auf alle Fälle nicht so, wie Menschen erzählen. Zeiten liegen wie Folien übereinander. Während in Schlesien der frisch verheiratete Josef Magnor 1921 auf dem Rad von der Grube nach Hause kommend auf der Straße von Gleiwitz nach Rybnik an der Kreuzung steht und überlegt, ob er zu seiner Geliebten oder doch gleich nach Hause fahren soll: dann sagt gleichzeitig und doch 95 Jahre später Urenkel Nikodem seiner Frau, die bald an Krebs erkranken wird, dass er sie verlässt. Josef und Nikodem sind die nach menschlichem Empfinden zeitlichen Pole, zwischen denen Erzählerin Erde uns assoziativchronologisch eine Geschichte auftischt, die von 1241 bis 2014 reicht. Kriege, Bürgerkriege, Privates, Politisches, Schützengräben, Eifersuchtsmorde, all das packt sie rein in die Geschichte und macht vor allem eines: Sie stellt die Frage nach unserer Identität. Und die ist verdammt fragil. Zumindest aus Sicht der Ewigkeit. „Drach“ ist Meisterwerk des polnischen Shootingstars Twardoch, es reißt den Leser mit in eine andere Dimension, eine, in der Zeit nur noch bedingt eine Rolle spielt.