Szilard Rubin: Der Eisengel
In den 1950er-Jahren wurde in Ungarn eine junge Frau von noch nicht einmal 20 Jahren, schön wie die Nacht, intelligent, aber heruntergekommen und verwildert, für die grausamen Morde an fünf Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren zum Tod durch Erhängen verurteilt. Das Verbrechen, das die Kleinstadt Törökszentmiklós während eines knappen Jahres in Angst und Schrecken versetzt und ganz Ungarn mit Entsetzen erfüllt hatte, fesselte den Schriftsteller Szilárd Rubin nachhaltig.
In jahrzehntelanger Arbeit hat er einen kriminalistischen Tatsachenroman geschaffen, der den Vergleich mit Truman Capotes Kaltblütig nicht zu scheuen braucht und bei seiner posthumen Erstveröffentlichung in Ungarn 2012 hohe Wellen schlug. Kalte Schauer jagen dem Leser über den Rücken, wenn er den Ich-Erzähler bei seinen Nachforschungen über die ebenso entsetzlichen wie seltsamen Taten durch Kleinstadtszenerien oder zu abgelegenen Einödhöfen begleitet.
Und zugleich kann er sich der Faszination, die die „Vampirin von Törökszentmiklós“ ausübt, genauso wenig entziehen wie der Erzähler. Eine Frau, die aus Lust tötet, eine Frau, die junge Mädchen vergewaltigt und sich an ihrer Todesangst erregt? Eine Frau, die aussieht wie ein Engel und wütet wie ein Dämon? Die Frage nach der Wirkungsmächtigkeit und der Anziehungskraft des Bösen schwebt unausgesprochen über dem Roman – und doch hütet er sich, eine abschliessende Antwort zu formulieren.
Schlaglichtartig, fast fetzenhaft nähert sich der Text seinem Thema von verschiedenen Seiten und mit verschiedenen Stimmen, ohne dem verstörten Leser eine heilsame Auflösung anzubieten. Nach und nach gestaltet Rubin vibrierende Spannungsverhältnisse, platziert das Entsetzliche neben dem Schönen, das Ekelerregende neben dem Lustvollen, das zart Melancholische neben dem fast gewaltsam Bizarren. Er tut dies so sprachgewaltig, so gekonnt, so raffiniert, dass man als Leser gerne bereit ist, durch sein Labyrinth der menschlichen Abgründe zu stolpern. (jc)