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T. C. Boyle: Hart auf hart

Ist es ungerecht, einen Autoren anhand der Rolle zu beurteilen, in die ihn die allgemeine Rezeption zwingt? Vorausgesetzt, dem sei so und es wäre möglich, T.C. Boyles neuen Roman in einem Vakuum zu betrachten, man könne es bei einem Lob belassen: „Hart auf hart“ erzählt so eindrücklich wie handwerklich einwandfrei aus dem Leben dreier Figuren, die sich auf unterschiedliche Weise von der Gesellschaft entfremdet haben. Da ist zunächst Sten, ein Vietnamveteran, der während einer Urlaubsreise mit seiner Frau in einer Mischung aus Reflex und Notwehr einen bewaffneten Costa Ricaner tötet, der im Begriff ist, seine Reisegruppe auszurauben.

Während Sten das Ereignis sorgenvoll mit sich herumträgt, geben ihm fremde Menschen im Restaurant Drinks aus, als Verneigung vor seiner heroischen Tat – eine Dynamik, die einen nur mehr oder minder latenten Fremdenhass sowie ein verstörendes Selbstverständnis der weißen USA offenbart. Selbst seinem Sohn Adam, der seinen Vater darüber hinaus ebenso ablehnt wie den Rest der Gesellschaft, ringt Sten mit seiner Tat Respekt ab. Adam hat mit der Gesellschaft als akzeptabler Umwelt längst abgeschlossen und streift am liebsten bewaffnet durch die Wälder, wo er aus seiner eigenen Mohnplantage Opium fördert. Er ist fanatisch, militant und xenophob und schärft seine Ideale nach dem Vorbild John Colters, eines Waldläufers, der im 19. Jahrhundert gegen Indianer kämpfte. Adams Insistieren auf seine absolute Freiheit als Individuum, die er sehr bereitwillig mit der Waffe verteidigt, ist es auch, die Sara für ihn einnimmt. Die gerät nämlich selbst wiederholt mit der Gesellschaft in Form ihrer Gesetzeshüter in Konflikt, die für sie nichts anderes darstellen als die unbefugte, staatlich reglementierte Beschneidung ihrer Persönlichkeitsrechte.

Die Glaubwürdigkeit, mit der Boyle seine Figuren zeichnet, ist beachtlich, auch verzichtet er dankenswerterweise auf pädagogische Herleitungsversuche, was ihre Motive und Überzeugungen anbelangt. Das ist es, was den Roman als wirkungsvolles Stillleben auszeichnet. Allerdings: Hier hört „Hart auf hart“ auf. Boyle bohrt nicht, fragt nicht danach, ob womöglich ein Teil des so triebhaften wie kompromisslosen Adam’schen Freiheitsanspruchs in jedem ruht – Adam ist zu offensichtlich psychisch gestört, um Identifikationspotenzial nahezulegen. Wie stünde man selbst wohl zu der Tat von Sten? Und hat Sara, wenn sie die Willkür der Staatsgewalt beklagt, nicht zumindest in diesem Punkt recht? Das sind, natürlich, Fragen, die der mündige Leser sich selbst zu stellen angehalten ist. Von einem wie Boyle, dem nicht zuletzt der Ruf des Amerika-Kritikers zukommt, hätte man sich allerdings gewünscht, er würde das eine Spur dickere Brett bohren, indem er uns nicht mit ausgestrecktem Zeigefinger vor Amerika stellt, sondern vor den Spiegel. So kratzt er lediglich an der Oberfläche – was man aufgrund der bedrückend inszenierten Romanhandlung allerdings kaum bemerkt.

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