T.C. Boyle: Sind wir nicht Menschen
T. C. Boyle beleuchtet alle erdenklichen Sichten der Apokalypse: Mit seiner Kombination aus grotesker Science-Fiction und komischem Surrealismus zeigt „Sind wir nicht Menschen“ seine stilistische Bandbreite.
Die Moral vieler der 19 Geschichten aus der neuesten Textsammlung von T. C. Boyle ist spätestens seit „Jurassic Park“ bekannt: Das Leben lässt sich nicht einsperren, es erobert neue Territorien, es überwindet sämtliche Barrieren. Doch wie in Spielbergs Klassiker lassen sich die Figuren in „Sind wir nicht Menschen“ nicht von der Kraft der Natur beeindrucken. Erst wenn der geklonte Hund das klavierspielende Mikroschwein der Nachbarin zerfleischt, hinterfragen die Kleinstadtbewohner der Zukunft die Rechtmäßigkeit, mit der der Mensch moralische Grundsätze aushebelt. Es mag Boyles Liebe zur Natur geschuldet sein, dass sie in fast allen Geschichten die Oberhand behält und mit Überschwemmungen, Dürren und ausbrechenden Tigern zurückschlägt.
Zwischen Sci-Fi und Surrealismus beweist T. C. Boyle stilistische Vielfalt
Auch wenn das Milieu vieler Protanogist*innen nach einigen Geschichten redundant ist – kreativ tätiger Mann mit Collegeabschluss trifft in Vorstadt auf kreativ tätige Frau mit Collegeabschluss –, sorgen verschiedene Erzählperspektiven für Abwechslung. Vom triebgesteuerten Innenleben eines ausgebrochenen Tigers bis zum Familienvater, dessen Beziehung zu seiner Tochter unter dem zwanghaften Gebrauch einer Erinnerungsmaschine leidet: Boyle beleuchtet alle erdenklichen Sichten der Apokalypse. Skurriles Highlight von „Sind wir nicht Menschen“ ist die Erzählung „Der Fünf-Pfund-Burrito“. Die Kombination aus grotesker Science-Fiction und komischem Surrealismus zeigt Boyles stilistische Bandbreite und destilliert das Problem vieler anderer Figuren in einem Appell: „Du übertreibst es (Salvador). Du führst das Schicksal in Versuchung. Du bist maßlos und denkst, du bist was Besonderes, aber in Wirklichkeit bist du überhaupt nichts Besonderes, sondern bloß ein einfacher Mann.“ kü
T.C. Boyle Sind wir nicht Menschen
Hanser, 2020, 400 S., 23 Euro
Aus d. Engl. v. Anette Grube u. Dirk van Gunsteren