Tawni O’Dell: Wenn Engel brennen
Tawni O’Dell etabliert in „Wenn Engel brennen“ mit Dove Carnahan eine Ermittlern, die der Realität abgeklärt und mit staubtrockenem Humor begegnet.
Campbell’s Run ist eine Vorhölle: Schweflige Dämpfe entweichen aus Erdspalten, Flammen treten aus Kratern hervor. Die kleine Ortschaft im Staat Pennsylvania ist seit Jahrzehnten das Opfer eines Minenfeuers. Die Häuser zerfallen zu Ruinen, das Niemandsland ist Sperrgebiet. Als dort ein halb verbranntes totes Mädchen in einer Vertiefung gefunden wird, übernimmt State Trooper Nolan den Fall. Doch Dove Carnahan, die 50-jährige Polizeichefin des ländlichen Countys, kennt die Leute hier besser – und findet schnell die Identität des Opfers heraus: Die kleine Camio gehört zu der berüchtigten White-Trash-Familie Truly. Bei ihren vorsichtigen Ermittlungen erkennt Dove Gemeinsamkeiten mit ihrer eigenen Familientragödie – und das nicht nur, weil plötzlich Lucky wieder vor der Tür steht. Der saß wegen Mordes an ihrer Mutter 35 Jahre unschuldig im Knast. Warum haben Dove und ihre Schwester Nelly damals bei der Zeugenaussage gelogen? Nach und nach entblättert Tawni O’Dell die Schicksale der beiden Familien, und Taten deuten sich an, bei denen Worte versagen. Es wird keine Gerechtigkeit geben. Nichts wird in Ordnung kommen. Dove Carnahan ist eine eindrückliche Ermittlerin, die der Realität abgeklärt und mit staubtrockenem Humor begegnet. Sie hat gelernt, mit dem Schwelbrand zu leben, den nicht nur sie in sich trägt. Ein Leben in der Vorhölle – aber eben auch ein Leben. nh
Tawni O’Dell Wenn Engel brennen
Ariadne, 2019, 352 S., 21 Euro
Aus d. Engl. v. Daisy Dunkel