Terézia Mora: Nicht sterben
Insbesondere in den USA hat es längst Schule gemacht, dass Autoren belletristischer Werke sich als Gast- oder gar permanente Dozenten für kreatives oder literarisches Schreiben an Unversitäten einen Zuverdienst erlehren. Oder auch: dass ebensolche Dozenten den logischen nächsten Schritt vollziehen, indem sie einen Roman veröffentlichen. Nun ist es mit Literatur wie mit jeder anderen Kunst: Die Erlernung eines Handwerks ist bis zu einem gewissen Grad, im Falle begabter Lehrkräfte womöglich gar zu einem hohen, sicherlich tradierbar, doch bleibt es stets die wunderbare Aufgabe eines jeden Einzelnen, sein Werkzeug so zu nutzen, dass etwas von Kraft und Eigenwert entsteht.
Unter dem Titel „Nicht sterben“ hielt Terézia Mora im Herbst 2013 – kurz nachdem sie für ihren jüngsten Roman „Das Ungeheuer“ mit dem Deutschen Buchpreis bedacht wurde – in Frankfurt eine Reihe von Poetik-Vorlesungen, welche nun als Buch vorliegen. Wenn Mora darin eines ganz besonders eindrücklich zeigt, dann ist dies die bittersüße Last der Freiheit und Eigenverantwortung: die Respekt abnötigende Chance, eine eigene Geschichte zu erzählen. Die Autorin gewährt Einblicke in die Denk- und Schreibprozesse, welche die Entstehung ihrer Werke begleitet, respektive: geprägt haben, und ganz besonders jene, die mit ihrem Œuvre vertraut sind, werden ihren Ausführungen mit Spannung lauschen. Ja: lauschen, denn „Nicht sterben“ liest sich, als hörte man Mora sprechen, so deutlich tritt auch aus den verschriftlichten Vorlesungen die Eigenständigkeit ihrer Sprache heraus.
Doch Mora schreibt nicht lediglich für ihre bisherige Leserschaft – sie schreibt für alle, die zu akzeptieren bereit sind, dass ihr – Moras – Weg zu literarischer Größe keiner ist, auf dem man ihr nachfolgen könnte. Die aus ihrem eigenen Schaffen destillierten Ratschläge, die Mora festhält, sind selten von Universalcharakter, und wenn doch, dann weil sie die Individualität eines jeden Schreibenden betonen. Klingt paradox, ist es nicht: Mora zeigt auf, welche Fragen sie sich zu welchem Buch stellen musste, und dass Ehrlichkeit gegenüber sich selbst nicht stets die bequemste, letztlich aber die einzig zielführende Option ist. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass die Entstehung des autobiografisch aufgeladenen Erzählbandes „Seltsame Materie“ nicht unter denselben Vorzeichen oder nur mit Hilfe derselben Technik entstehen konnte wie der drastische, multiperspektivische Roman „Alle Tage“ – und, noch wichtiger, dass auch Moras Arbeiten nicht zur Blaupause herhalten können oder sollen. „Nicht sterben“ ist Anleitung und Anregung zur Selbsthilfe. Zum Wagnis. Wenn der Werkzeugkoffer groß genug ist, wer sagt denn, dass sich ein Nagel nicht mit einer Wasserwaage einschlagen lässt? (lan)