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„The Realm of the Elderlings“: Das macht Robin Hobbs Fantasy so besonders

Screenshot aus „The Office“ auf rotem Hintergrund. Michael Scott (Steve Carrell) blickt in die Kamera und sagt „No question about it, I am ready to get hurt again“. Als Überschrift wurde auf das Bild der Schriftzug „Robin Hobb wird euer Leben zerstören“ eingefügt.
Fantasy für Masochist:innen: Robin Hobb macht gefühlt alles anders, als andere Fantasy-Autor:innen – allen voran, dass es nicht selten gar keinen Spaß macht, ihre Bücher zu lesen. Und gerade das macht ihre Serie „The Realm of the Elderlings“ so besonders.

Robin Hobb gelingt in der „The Realm of the Elderlings“-Serie das, was sonst fast niemand schafft: Fantasy von Action und Spektakel zu entkoppeln.

Robin Hobbs „Realm of the Elderlings“-Reihe nimmt einen ganz besonderen Platz im Fantasy-Kanon ein. Und der Grund dafür könnte schwerer nicht zu beschreiben sein, aber wir wollen es nicht unversucht lassen. In einem Satz zusammengefasst ließe sich sagen, dass sich Hobbs Serie am ehesten so anfühlt, als spiele sie im echten Leben.

Dreidimensionale Figuren leisten ihren Beitrag dazu ebenso wie ein extrem originelles Setting und Magiesysteme, die man so noch in keinem Fantasy-Roman gelesen hat. Viel ausschlaggebender ist jedoch Hobbs Fokus: Action und epische Momente treten in den Hintergrund, große Enthüllungen oder fantastische Spektakel? Fehlanzeige.

Stattdessen legt Hobb großen Wert auf das Innenleben ihrer Figuren. Ganze Kapitel gehen vorbei, ohne dass die Handlung sich maßgeblich vorwärts bewegt, dafür tauchen wir als Leser:innen immer tiefer in ihren Erzähler ein: Fitzchivalry Farseer, der Hauptcharakter der ersten Trilogie in der „Realm of the Elderlings“-Serie, mag einer der dreidimensionalsten Fantasy-Figuren sein, die je zu Papier gebracht worden sind.

Ein Screenshot des Memes „Here come dat boi“, in dem das Gesicht des einradfahrenden Frosches mit einer Illustration des Hauptcharakters der ersten „Realm of the Elderlings“-Trilogie überlegt ist.
Fitzchivalry Farseer aus der „Realm of the Elderlings“-Serie ist der beste Fantasy-Charakter, der je zu Papier gebracht wurde (don’t @ me).

Innerer Monolog statt blutigem Meuchelmord – die „Farseer-Trilogie“

Mit Fitz lernen wir das titelgebende „Realm of the Elderlings“ kennen. Seine Geschichte ist es, welche die erste Trilogie in der Serie, die „Farseer-Trilogie“, fast vollständig bestimmt. Ursprünglich hatte Hobb für den ersten Teil der Serie den Titel „Chivalry’s Bastard“ vorgesehen, der, wie wir gleich herausfinden werden, deutlich passender gewesen wäre als der Titel (und die darauf aufbauenden weiteren Titel), unter denen die erste Trilogie der Reihe schlussendlich erschienen sind – „Assassin’s Apprentice“, „Royal Assassin“ und „Assassin’s Quest“.

Denn wer mit Genrekonventionen vertraut ist, erwartet bei dieserlei Titeln mit Action vollgepackte Romane, in denen sich geheimnisvolle Männer mit dunklen Mänteln in verlassenen Gassen treffen, um hinterhältige Meuchelmorde zu planen. Stattdessen bestehen die Bücher von Robin Hobb primär aus Dialogen, persönlichen Zerwürfnissen, Grübeleien und jeder Menge Elend – aber dazu später mehr.

Was ist eigentlich das „Realm of the Elderlings“?

Buchcover zu Robin Hobb’s Roman „Assassin’s Quest“
Buchcover zu Robin Hobb’s Roman „Assassin’s Quest“

Fangen wir mal ganz von vorn an: Das Setting von Robin Hobbs „Realm of the Elderlings“-Serie sind die sogenannten Six Duchies (etwa „Sechs Herzogtümer“), ein loser Zusammenschluss aus, wie der Name schon sagt, sechs Herzogtümern, die von einem König regiert werden. Seit jeher ist der König ein Mitglied des Farseer-Clans – in Hobbs Welt herrscht ein Aberglaube (der vielleicht doch ein Körnchen magische Wahrheit enthält), dass die Persönlichkeit der Abkömmlinge edler Familien von ihrem Namen geprägt wird, und der Begründer des Clans war für seine Weitsicht bekannt.

Zum Zeitpunkt der Serie ist der Herrscher über die Six Duchies König Shrewd (zu Deutsch: König Klug). Unser Hauptcharakter Fitz ist der Bastard des erstgeborenen Prinzen Chivalry Farseer (daher der famose Arbeitstitel „Chivalry’s Bastard“) und wird von der Familie seiner Mutter ziemlich herzlos und in sehr jungen Jahren bei den Farseern abgegeben. Kurz darauf stirbt der jetzt entehrte Kronprinz Chivalry im Exil unter mysteriösen Umständen.

Bei der Farseer-Familie wächst er zunächst unter der Fürsorge des Stallmeisters Burrich auf, der einer der engsten Freunde seines Vaters gewesen ist. Zumindest bis König Shrewd sich dazu entschließt, sich die Loyalität des jungen Fitz zu sichern, der als Bastard eine Gefahr für die königliche Familie darstellt. Fitz wird unter Anleitung des mysteriösen Chade zum Nachwuchs-Meuchelmörder und damit zu einem inoffiziellen Teil des Farseer-Clans.

Als Meuchelmörder ist es seine Aufgabe, die politischen Position seines Königs zu verteidigen und zu verbessern – und das nicht immer durch Gewalt. Er lernt nicht nur, Gifte anzumischen und präzise Messerstiche zu setzen, sondern auch Verstohlenheit, Hof-Etikette und Diplomatie.

Die Kunst des Mordens

Buchcover zu Robin Hobb’s Roman „Royal Assassin“
Buchcover zu Robin Hobb’s Roman „Royal Assassin“

Was Hobb dabei eindrucksvoll von dem Rest der Fantasy-Welt trennt: Sie widersteht der Versuchung, Fitz’ neue Aufgabe als aufregend oder abenteuerlich zu romantisieren. Stattdessen leidet der junge Fitz extrem unter seinen Umständen. Seine Aufgabe als königlicher Meuchelmörder bring ihn in einen existenziellen Konflikt mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und seine Loyalität gegenüber König Shrewd und seinen Söhnen zwingt ihn immer mehr dazu, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu ignorieren.

Dieser Konflikt ist es, den Hobb aus ihrer Figurenkonstellation herauskitzelt und auf die Spitze treibt. Fitz, der sich in die Kerzenmacherin Molly verliebt, belügt sie, um sein Leben als Meuchelmörder und königlicher Bastard geheim zu halten – natürlich geht das nicht gut.

Zu allem Unglück fängt dann auch noch König Shrewds jüngster Sohn, Prinz Regal (zu Deutsch: königlich), an, Pläne gegen seinen Vater zu schmieden – und versucht zugleich, sich des Bastards seines Halbbruders Chivalry zu entledigen. Fitz sieht sich immer mehr in bestehende Machtgefüge verstrickt und zieht dabei, mal aus Pech und mal als Resultat seiner eigenen Kurzsichtigkeit, immer wieder den Kürzeren.

Das Magiesystem: zwischen Wit und Skill

Buchcover zu Robin Hobb’s Roman „Assassin’s Quest“
Buchcover zu Robin Hobb’s Roman „Assassin’s Quest“

Wo wir gerade von Fitz’ Elend und seiner Kurzsichtigkeit sprechen – hier ist vielleicht der perfekte Einstieg, um über das Magiesystem der „Realm of the Elderlings“-Serie zu sprechen. In Robin Hobbs Welt gibt es zwei Sorten von Magie: Wit und Skill (zu Deutsche etwa: Geist und Fertigkeit).

Für eine Serie, in der zwischenmenschliche Gefühle und Beziehungen von so zentraler Bedeutung sind, ist es nicht verwunderlich, dass beide Formen der Magie unterschiedliche Verbindungsmöglichkeiten darstellen. Wer über Wit verfügt, kann mit Tieren sprechen und Beziehungen zu ihnen aufbauen. Wer skilled ist, kann dagegen unter großer Anstrengung telepathisch mit anderen Menschen kommunizieren – und sie sogar beeinflussen oder gar kontrollieren.

Hobb geht hier geschickt auf die zentralen Bewegpunkte des Lebens ihres Hauptcharakters wieder, seine Einsamkeit, seine Sehnsucht nach Zugehörigkeit und einem Zuhause. Denn Fitz ist einer der seltenen Menschen, die sowohl über Wit als auch über Skill verfügen – doch beides zu meistern, ist für den jungen Fitz eine große Herausforderung.

Mensch und Natur, Verbindung und Macht: Die Motive der „Realm of the Elderlings“-Serie

Denn der Wit, den Fitz intuitiv schon als kleiner Junge benutzt, um mit den Tieren des Stallmeisters Burrich zu kommunizieren, ist in der Welt der Six Duchies geächtet. Wer mit Tieren spricht und sie gleichberechtigt behandelt, ist in den Augen der allermeisten weniger als ein Mensch. So ist es ausgerechnet Burrich, der selbst über den Wit verfügt, der Fitz am strengsten für sein Anderssein bestraft.

Skill gilt hingegen als zivilisiert – und ist tatsächlich sogar fast ausschließlich den edlen Familien der Six Duchies vorbehalten. Auch ihn kann Fitz allerdings nur unter großen Schwierigkeiten meistern, denn der Skillmeister der Farseer-Familie hat Fitz auf dem Kieker, weil er ein Bastard ist.

Es zeichnet sich hier schon deutlich ab, was Hobb als Autorin bewegt: Wit ist primär empathisch, birgt aber die reale Gefahr für den:die Nutzer:in, sich im eigenen Instinkt zu verlieren. Skill ist primär rational – und hat gleichzeitig großes Potenzial für Machtmissbrauch. Die Serie kreist um solche Fragen von Identität, Verbindungen, Machtverhältnissen und die Spannung zwischen Mensch und Natur – und hat daneben ziemlich wenig Zeit für Plot und Action.

Fast schon eine Fußnote: die Handlung

Ein Edit eines Memes. Ein junger Mann schaut verwirrt in die Kamera mit der Caption „Wait, you guys are getting plot?“
Die „Realm of the Elderlings“-Serie ist vielleicht die am wenigsten plotlastige Fantasy-Serie, die je geschrieben wurde.

Es ist ziemlich bezeichnend, dass die Handlung in dieser Vorstellung einer Fantasy-Serie so weit hinten steht. Das Mysterium um die roten Schiffe, welche die Küste der Six Duchies heimsuchen, ist mehr Mittel zum Zweck. Und das ist zwar schade, aber völlig in Ordnung so. In aller Kürze: Die Six Duchies leben schon seit jeher in einem unsicheren Frieden mit den Bewohner:innen der Inseln, die das Königreich umgeben.

Vereinzelte Kriege und Raubzüge sind fast schon die Norm – doch zu der Zeit, in der die erste Trilogie der „Realm of the Elderlings“-Serie spielt, intensivieren sich die Überfälle. Und die Inselbewohner:innen hinterlassen neuerdings eine neue Form der Bedrohung: die Forged Ones (zu Deutsch: Geschmiedeten), die, wie Fitz unter Zuhilfenahme seines Wits herausfindet, jedwede Verbindung zu ihrer Umwelt und ihren Mitmenschen verloren haben und dadurch zu unmenschlichen Monstern werden.

Hobb nutzt diesen Plotpunkt primär als Ausgangspunkt für eine Staatskrise der Six Duchies – und nicht, um einen zentralen Antagonisten aufzubauen, um den sich alles dreht. Stattdessen sind die Räuber der roten Schiffe vor allem Mittel zum Zweck. Sie schaffen Aufruhr in den Six Duchies, was sich der rebellische Prinz Regal zu Nutze macht. Und sie sind gleichzeitig die Antithese von allem, was Hobb im Aufbau ihrer Fantasy-Welt als höchstes Gut postuliert: die Gefühle und Verhältnisse, die uns miteinander und mit unserer Umwelt verbinden.

Wie die Forged Ones entstehen und was die Räuber der roten Schiffe antreibt, hat zwar eine Antwort, aber der springende Punkt der „Realm of the Elderlings“-Serie ist nicht das Mysterium um sie, sondern die Entwicklung, die Fitz und die anderen Figuren durchmachen.

„Realm of the Elderlings“: Fantasy für Masochist:innen?

Okay, Thema Handlungsempfehlung: Lohnt es sich, die „Realm of the Elderlings“-Serie zu lesen? Wir sagen: definitiv. Allein schon, dass die Figuren und die zentralen Motive hier so viel Raum einnehmen – und das auch müssen – ist schon ein hohes Lob.

Hobb hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Fantasyserie zu schreiben, die an Charaktertiefe höchstens noch in George R. R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ ihresgleichen hat. Nicht umsonst hat Martin Hobb in der Welt der Fantasy-Autor:innen als „Diamant in einem Meer aus Zirkonen“ beschrieben.

Einzige Einschränkung für unsere ansonsten uneingeschränkte Empfehlung: Wer nicht gut damit klar kommt, wenn zentrale Charaktere gravierende Fehler haben und dementsprechend nicht immer logisch oder in ihrem eigenen besten Interesse handeln, oder wer tragische Handlungen nur schwer aushalten kann, der sollte besser Abstand halten. Niemand zerstört einen so schön wie Robin Hobb.

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