The Square
Clevere Satire: Der schwedische Cannes-Gewinner „The Square“ prüft, ob unsere Handlungen mit unseren Überzeugungen mithalten können.
Wenn man einer Bettlerin etwas zu essen kauft, darf sie dann wählerisch sein, oder muss sie aus Dankbarkeit nehmen, was sie kriegt? Wenn ein Mann zwanglosen Sex mit einer fremden Frau hat, muss er sich dann hinterher von ihr als Frauengebraucher bezeichnen lassen, obwohl sie es genau so wollte wie er? Und darf man einen an Tourette leidenden, Unflätiges brüllenden Menschen aus einer Veranstaltung entfernen, weil sie so nicht durchzuführen ist, oder ist das dann intolerant? Uff. Ja, mit solchen komplexen Fragen konfrontiert uns Ruben Östlund in seinem satirischen Drama „The Square“, das im Mai beim Filmfest in Cannes die Goldene Palme gewann. Der Schwede ist der große Soziologe des modernen Kinos. In „Play (2011) zwang er uns, über unsere Vorurteile und unseren Rassismus nachzudenken, „Höhere Gewalt (2014) brachte männliches Selbstverständnis und Familienstrukturen an den Rand des Kollaps. Als eine Art soziales Experiment hebt Östlund nun das Leben des Kunstkurators Christian (Claes Bang) aus den Angeln – und setzt es an allen Ecken und Kanten schief wieder ein. Christian wird beklaut und greift zur Selbstjustiz per Wurfzettel. Christian lässt die Installation „The Square“ von Social-Media-Hipstern vermarkten, was einen Skandal auslöst. Christian versucht, ein guter und normaler Mensch zu sein, scheitert aber am Widerspruch zwischen seinen Absichten und seinen Handlungen. In einzelnen, teils nur für sich stehenden Vignetten umreißt Östlund verschiedene Dilemma unseres bürgerlichen Lebens, mal als treffliche Persiflage des Kunstbetriebs, mal als Lehrfilm über unsere Selbstgerechtigkeit, mal als absurde Komödie. Das ist im Grunde Kino, das mit dem von dezidiert politischen Filmemachern wie Ken Loach eng verwandt ist. Östlund will uns darauf hinweisen, dass unser Gemeinwesen und unsere Humanität erodieren – und dafür ist ihm fast jedes Mittel recht. Denn, noch eine Frage: Wenn man in einen Film geht, muss man dann unbedingt gut unterhalten oder nachdenklich wieder rauskommen, oder darf man auch aufgebracht und verunsichert sein? vs
Die Spielzeiten von „Thne Square“ in Ihrer Stadt finden Sie hier.
Interview mit Ruben Östlund
Herr Östlund, wie Ihre anderen Filme „Play“ und „Höhere Gewalt“ gleicht auch „The Square“ einem sozialen Experiment, mit den Figuren als Versuchskaninchen und den Betrachtern als glotzenden Passanten. Warum tun Sie das?
Ruben Östlund: Ich möchte den Menschen als eine Art Tier filmen. Wie handelt das menschliche Wesen jetzt? Was tut es dann? Ich liebe diesen Zugang, denn er ähnelt dem der versteckten Kamera. Wir, die Zuschauer, wissen um die gestellte Kamerafalle, wir fragen uns: Wie wird diese Person auf dieses Experiment reagieren? Das Ergebnis sagt viel darüber aus, was wir tun, es wirft Fragen auf, und wir lernen etwas über uns selbst. Das ist fast Soziologie – definitiv mein Lieblingsthema!
Ihrer Hauptfigur Christian wird das Handy geklaut. Er greift dann zu einer Form von Selbstjustiz gegen sozial Benachteiligte. Wir Zuschauer müssen daraufhin unsere Werte und Vorurteile überprüfen, ob wir das okay finden oder nicht. Das ist Ihre Soziologie?
Östlund: Das ist die Grundidee meiner Filme. Ich suche nach gesellschaftlichen Gegebenheiten, zu denen es einen klaren Konsens gibt, mit dem ich nicht übereinstimme. Ich möchte die Leute dann dazu bringen, über diesen Konsens aus einer anderen Perspektive nachzudenken. Das habe ich in allen meinen Filmen so gemacht. Bettler tauchen oft bei mir auf, denn mit ihnen ist das eine sehr komplizierte Sache. Man hat nicht die Macht, ihre Lebenssituation grundlegend zu verändern. Aber sobald man ihnen etwas geben will, fühlt man sich sofort provoziert, wenn sie auch noch Ansprüche stellen: „Ich nehme ein Hähnchenbaguette, aber ohne Zwiebeln.“ Die Reaktion ist dann: „Was fällt dir denn ein? Du kniest da auf dem Asphalt und solltest nehmen, was man dir gibt!“
Es gibt in dem Film eine besonders irritierende Szene auf einem Galadinner: Ein Affendarsteller provoziert mit tierischem Verhalten so lange die feinen Gäste, bis die zum Tier werden und ihn verprügeln. Gilt für Sie: je verstörender, desto besser?
Östlund: Eine Szene darf nur verstörend sein innerhalb der Möglichkeiten des Konzepts. Manchmal denken die Leute, ich verlasse dieses Konzept und verstöre sie außerhalb der getroffenen Übereinkunft, die ein Film ja darstellt. Aber es gibt keinen Grund, nur um der Provokation willen zu provozieren. Ich glaube nicht einmal, dass das überhaupt möglich ist, denn dann ist es nur kindisch und bleibt einem egal, wodurch es gar nicht verstörend wirken kann. Man muss einen Konflikt in den Leuten provozieren. In meinem Film „Play“ rauben fünf schwarze Teenager zwei weiße Jungs aus. Warum ist das verstörend? Warum provoziert es mich? Wahrscheinlich, weil eine Wahrheit darin liegt, weil man sich in der Folge mehr Fragen stellen muss. Ich glaube aber, dass ich da bisher noch nie zu weit gegangen bin.
Geben Sie es doch zu: Sie wollen uns zu besseren Menschen erziehen.
Östlund: Das stimmt. (lacht) Denn es ist doch naiv zu glauben, man würde keinen Standpunkt vertreten, wenn man versucht, mittels eines Films etwas zu kommunizieren. Sobald man das tut, teilt man eine Idee mit, seine Sicht auf die Welt, was man für richtig und falsch hält. Mich nervt es, wenn Künstler sagen: Ich kreiere da nur etwas, das soll überhaupt nichts bedeuten. Ja, warum belästigst du mich denn dann überhaupt damit? Ich schätze Kunst von Leuten, die einen Standpunkt vertreten, die meisten Menschen haben ja auch einen. Im Unterschied zu anderen Filmemachern habe ich keine Probleme damit, die Inhalte meiner Filme zu diskutieren, ja, ich liebe es sogar!
Und Ihre Filme werden dennoch zu Unrecht als moralisch und didaktisch bezeichnet?
Östlund: Ich habe Schwierigkeiten zu verstehen, was moralisch bedeutet und ob das gut oder schlecht ist. Ich denke, didaktisch muss nicht automatisch schlecht sein, man kann das auch auf eine gute Weise sein. Ich schaue von einem materialistischen Blickwinkel auf die Menschen, und diese verhalten sich auf bestimmte Weise in bestimmten Situationen.
Wenn man „The Square“ schaut, bekommt man das Gefühl, dass Sie der Meinung sind: Ein Film, der nicht zum Nachdenken bringt, lohnt die Zeit nicht.
Östlund: Die einzigen Filme, die ich gucke und die mich nicht zum Nachdenken bringen, sind die Skifilme, die ich zu Beginn meiner Karriere gedreht habe. Filme, in denen ich nicht denken soll, machen mir keinen Spaß.
„The Square“ ist schwedischer Oscar-Beitrag. Werden Sie diesmal den Preis für den besten fremdsprachigen Film gewinnen? 2015 sind Sie gescheitert …
Östlund: Haben Sie das Video „Swedish Director freaks out when he misses out on Oscar Nomination“ auf YouTube gesehen? Das sind ich und mein Produzent. Wir haben uns die Verkündung der Oscar-Nominierungen für den besten fremdsprachigen Film 2015 im Livestream angesehen, da wir mit „Höhere Gewalt“ auf der Shortlist standen. Die neun verbliebenen Filme wurden auf fünf Filme reduziert, und wir waren absolut sicher, dass wir nominiert werden würden, wir haben uns sogar mit der Kamera meines Laptops selber aufgenommen! Das war in einem Zimmer im Trump Tower, und danach sagten wir uns: Da gehen wir nie wieder rein! (lacht)
Interview: Volker Sievert