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Theatertreffen Berlin

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Bemerkenswertes Theater? Ulrich Rasches „Woyzeck“-Inszenierung vom Theater Basel ist jedenfalls in Berlin dabei. (Foto: © Sandra Then)

Jedes Jahr das gleiche? Das Berliner Theatertreffen polarisiert. Wie immer.

Die Berliner Volksbühne liegt in Agonie, das Experiment, mit Matthias Lilienthal einen Vertreter der Postdramatik als Leiter der Münchner Kammerspiele zu installieren, ist gescheitert, und in Stuttgart schmeißt Armin Petras kommenden Sommer seine Intendanz hin. Man kann also guten Gewissens sagen, dass das deutschsprachige Theater sich aktuell in einer Krise befindet, von der sich die Auswahl des diesjährigen Theatertreffens bemerkenswert unbeeindruckt zeigt.

Eingeladen sind bis 21. Mai vor allem erwartbare Häuser, das Hamburger Thalia („Die Odyssee“ von Antú Romero Nunes), das Schauspielhaus Zürich („Beute Frauen Krieg“ von Karin Henkel), das Burgtheater („Die Welt im Rücken“ von Jan Bosse). Provinzquote: 0 Prozent. Freie-Szene-Quote: 0 Prozent. Frauenquote: 25 Prozent. Man kann sagen: Das Theater beim Theatertreffen zeigt 2018 in erster Linie weißes, männliches Sprechtheater. Wenig Bastardformen, wenig Schillerndes. Und das einzige Stück, das aus dieser Reihe ein wenig raussticht, Vegard Vinges und Ida Müllers „Nationaltheater Reinickendorf“ (Berliner Festspiele) kann aus technischen Gründen nicht gezeigt werden.

Ist die Auswahl dieses Jahr also eine schlechte? Nicht unbedingt. Sie bildet in erster Linie ab, wo das Theater gerade steht und zeigt das anhand handwerklich tadelloser Beispiele, da kann man sich also durchaus drauf freuen. Allerdings muss man auch konstatieren: Hier sollte sich was ändern. Bald.

Daniel Richter, Leitender Dramaturg beim Berliner Theatertreffen Foto: © Christoph Neumann

Interview mit Theatertreffen-Leiter Daniel Richter

Daniel Richter, die Kritik an der diesjährigen Theatertreffen-Auswahl ist harsch: zu wenig weibliche Regiepositionen, zu metropolenlastig, keine freie Szene …

Eine absolut nachvollziehbare Kritik. Aber glauben Sie nicht, dass es sich die Jury leicht gemacht hätte! Letztlich ist es nicht deren Aufgabe, ein ausgewogenes Tableau zu kuratieren, sondern jede gesehene Inszenierung zu befragen, ob sie nach deren Kriterien bemerkenswert ist. Dass dieses Argument kein zufriedenstellendes ist, ist mir vollkommen bewusst, da es die strukturelle Schieflage des deutschsprachigen Theaters spiegelt. In der Auswahl sind dieses Jahr leider nur drei Regisseurinnen – Anta Helena Recke, Karin Henkel und Ida Müller – vertreten: ein nachdenklich stimmendes Ergebnis. Letztlich bildet die Auswahl aber adäquat den Gesamtdurchschnitt von 30 Prozent weiblicher Regiepositionen an deutschsprachigen Theatern ab. Somit sagt die Auswahl mehr über den Zustand an den Theatern als über die Jury des Theatertreffens. Grund für uns, im Rahmen des Diskursprogramms über strukturellen Sexismus und Geschlechterungleichheit im Kulturbetrieb zu diskutieren.

Das Theatertreffen lädt jedes Jahr „die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison“ nach Berlin ein. Und jedes Jahr stolpere ich über den Begriff „bemerkenswert“, der irgendwie alles und nichts bedeutet.

Den Begriff „bemerkenswerteste Inszenierungen“ benutze ich selbst nicht, auch wenn das so in der Satzung steht, da das ein vermessener Anspruch wäre. Daher kann ich auch nur subjektiv antworten: Bemerkenswerte Theaterarbeiten sind für mich künstlerische Versuche, die mich verstören, indem sie meine Wahrnehmungsraster und Denkschablonen ästhetisch und diskursiv durchkreuzen und diese hinterfragen. Arbeiten, die durch ungewohnte Perspektiven auf einen Klassiker, einen altbekannten Stoff oder eine vermeintlich gesellschaftspolitische Gewissheit neue Sichtweisen eröffnen.

Ich habe den Eindruck, dass sich die Theaterwelt im Umbruch befindet: Einerseits gibt es ein Festhalten an den vorhandenen Strukturen, an Ensembles, die Diversität der Gesellschaft nicht abbilden, an Intendanzen, die mehrheitlich weiß und männlich sind. Und auf der anderen Seite gibt es Versuche, das aufzubrechen, an den Münchner Kammerspielen, an Chris Dercons Volksbühne, als Zwischending am Berliner Gorki. Das Theatertreffen bildet diesen Umbruch allerdings – vielleicht mit der Ausnahme von Anka Helena Reckes „Mittelreich“ aus München – nicht ab, oder?

Das Theater sieht sich mit einer veränderten Stadtgesellschaft konfrontiert, auf die sie lange Zeit weder thematisch noch ästhetisch oder strukturell reagiert haben. So langsam ist aber ein Bewusstsein dafür entstanden, dass sich das Theater den Herausforderungen und Entwicklungen der Gesellschaft aktiv stellen muss, will es nicht zum musealen Ort bildungsbürgerlicher Kunst verkommen. Die Bühnen, die Sie genannt haben, nehmen dabei eine Vorreiterrolle ein, deren Versuche weit über die Metropolen Berlin und München hinaus strahlen. Dass die Theater sich in einem unabgeschlossenen Prozess des Umbruchs befinden, kann man an den Fragestellungen, die die diesjährige Auswahl aufwirft, dennoch ablesen, in der sich mal explizitere, mal zartere Niederschläge des Umbruchs wiederfinden lassen.

Matthias Lilienthal ist als Intendant der Münchner Kammerspiele überraschend zurückgetreten, um Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne wird erbittert gestritten. Hat das Einfluss auf das Theatertreffen?

Auch wenn das Dauerthemen der vergangenen Theatersaison waren, haben sie dennoch keinen unmittelbaren Einfluss auf unser Programm. Beide Debatten sind kulturpolitisch verankert und haben zunehmend an Unschärfe in den Argumentationen gewonnen. Künstlerische Einschätzungen verwischen dabei vielfach mit kulturpolitischen Entscheidungen und emotional aufgeladenem Anspruchsdenken. Für mich spiegeln sich in den Debatten Verteilungskämpfe, die begleitet werden von Verlustängsten und einem enormen Druck, dem sich die Kulturinstitutionen ausgeliefert sehen.

Könnte es sein, dass die eingeladenen Gastspiele angesichts dieser Umwälzungen unwichtiger werden und stattdessen die Nebenrubriken des Theatertreffens wie der Stückemarkt an Bedeutung gewinnen?

Als wir im vergangenen Jahr mit „Shifting Perspectives“ eine internationale Plattform im Theatertreffen entwickelt haben, kam der Vorwurf, dass das Theatertreffen gegen die Auswahl der Jury kuratiere, um all das ins Festival zu holen, was in der Auswahl nicht abgebildet würde. Für uns ist das ein dialogisches Nebeneinander künstlerischer und gesellschaftlicher Positionen und keine konkurrierende Setzung. Das Theatertreffen wurde 1964 mit dem Auftrag gegründet, Tendenzen des westdeutschen Theaters in der damals noch ummauerten Enklave Berlin abzubilden. Mittlerweile sind die historischen Kräfteverhältnisse andere geworden. In einer globalisierten, endlos vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts haben wir uns gefragt, was die Mauer heute eigentlich ist und den Entschluss gefasst, den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu werfen. Besitzt die Auswahl, die nach wie vor das Herzstück des Theatertreffens bildet, eine deutschsprachige Perspektive, richtet der Stückemarkt die Blickachse auf den europäischen Raum, während „Shifting Perspectives“ eine außereuropäische, postkoloniale Perspektive sucht.

Interview: Falk Schreiber

 

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