„There’s always more that I could say“ – Sigrid : Gebrochene Herzen tanzen besser

Wer dachte, Liebeskummer klingt nach Kuscheldecke und Kräutertee, hat noch nie die norwegische Popqueen Sigrid erlebt, die aus ihrem Kummer einen Dancefloor macht.
Sigrid hat noch längst nicht alles gesagt. Auf ihrem neuen Album „There’s always more that I could say“ besingt sie Liebe in drei Phasen: Schwärmerei, Herzschmerz und Reflexion. Wer dachte, dass ein gebrochenes Herz leise klingt, hat sich geirrt. Sigrid ist lauter, klüger und musikalisch raffinierter denn je, sie kennt ihr Herz und ihre Stimme. Mit „Sucker Punch“ hat sie uns 2019 den ersten Kinnhaken verpasst, jetzt folgt das K. O. Aus Tränen werden Tanzflächen-Hits.
Phase 1: Schmetterlinge im Bauch
„Jellyfish“ war die erste Single des neuen Albums, und treffender hätte Sigrid den Einstieg kaum wählen können. In der ersten Phase ihres Liebeskonzepts lädt sie uns ein, den Schmetterlingen im Bauch (oder vielleicht den Quallen?) zuzusehen. Der Song klingt so leicht wie ein skandinavischer Sommer, eröffnet mit choralen Uhs und Ahs eine schwebende, fast unterwasserhafte Atmosphäre. Am explosivsten zeigt sich jedoch „Hush Baby hurry slow“ – ein Pop-Feuerwerk aus Synths und Drums, das an 2000er-Ikonen wie Madonnas „Hung up“ oder „Push the Button“ der Sugababes erinnert. Ein absolutes Highlight, auf dem Sigrid eine neue Facette zeigt und sich selbst übertrifft. Der Song löst nicht nur ein paar Schmetterlinge im Bauch aus, sondern lässt gleich den ganzen Schwarm fliegen.
Phase 2: Zerschmetterte Herzen
Wenn Herzschmerz so klingt, warum tut er dann so weh? Auf „Fort Knox“ beschreibt Sigrid das emotionale Nachbeben: wütend, mutig, provokant. Sie rechnet scharfzüngig mit einer Liebe ab, die vielleicht nie wirklich existiert hat, und verspricht, ihr Herz vorerst zu verriegeln. Auch „Kiss the Sky“ trägt diese kompromisslose Fuck-it-Attitüde. Sigrid inszeniert sich als Diva mit kaltem Herzen, abgeschottet in einem Schloss aus Mauern und Stolz. Sie ignoriert die Wahrheit und reitet mit ihrem Ego in den Sonnenuntergang. Immer auf der Suche nach einem Rest Positivität.
Phase 3: Scherben aufsammeln
Zu jedem guten Heartbreak gehört eine Prise Nachdenklichkeit. In welche Richtung die Gedanken treiben, bleibt unberechenbar, aber Reflexion hat ja noch niemandem geschadet. Auf „Two Years“ denkt Sigrid darüber nach, wie lange es dauert, bis man sich wieder ganz fühlt. Und in „Do it again“ flirtet sie mit der Idee, direkt noch mal ins gleiche Chaos zu rennen, weil’s halt trotzdem schön war. Beide Songs bleiben trotz ihres Themas dynamisch und tanzbar. Umso überraschender wirkt dann die Piano-Ballade „There’s always more that I could say“. Hier zeigt Sigrid, dass Verletzlichkeit genauso laut sein kann wie Pop. Und wenn sie singt, dass sie noch so viel sagen will, aber die Worte im Hals stecken bleiben, ist man selber sprachlos.
Skandinavischer Sommer im Oktober? Ja, bitte!
Das Album endet mit „Eternal Sunshine“. Ein Abgang voller Licht, wie ein skandinavischer Sommer, der nie ganz dunkel wird. Sigrid fasst zusammen, was man aus der Kunst des gebrochenen Herzens lernen kann: Wenn du’s nicht schaffst, mach ich’s eben allein. Sie ist ihr eigener „eternal sunshine“. Und wer ihre hymnischen Songs hört, versteht sofort, dass das kein trauriger Pop ist, sondern ein Manifest der Selbstliebe. Aktuell erlebt Skandi-Pop ein Revival, befeuert von Zara Larssons neuestem Album und nun auch von Sigrid. Sie hat schon immer ein Gespür für große Refrains und klare Emotionen gezeigt, verletzlich wie in „Dynamite“, stark und laut wie im feministischen „Don’t kill my Vibe“. Mit „There’s always more that I could say“ vereint Sigrid diese beiden Welten und festigt selbstbewusst ihren Platz in der internationalen Poplandschaft. Dass sie noch viel mehr zu sagen hatte, war klar. Aber mit diesem Album hat sie’s endgültig bewiesen.