Thomas Gehle: „Alltag in Zeiten der Zwangsschließung“
In einem Rückblick auf die vergangenen Wochen, berichtet Stage School Chef Thomas Gehle von der „neuen Normalität des Wahnsinns“, wie es ist, in diesen Zeiten mehrere Kultur- und Freizeitbetriebe zu leiten.
Thomas Gehle ist geschäftsführender Gesellschafter der Stage School Hamburg mit dem hauseigenen Theater First Stage.
Rund 300 freiberuflich tätige Mitarbeiter (Dozenten, Trainer, Darsteller, Musiker, Techniker, Reinigungspersonal und Gastronomiekräfte) standen somit von einem Tag zum anderen ohne Einkommen da.
Ein Teil der gewaltigen Fixkosten, wie die hohen Mieten, müssen gezwungener Maßen vorerst ausgesetzt werden. Aber auch mit einem vorläufigen Kündigungsschutz für die Mieter wird ja irgendwann der Tag kommen, an dem die unfreiwillig gestundeten Mieten zurückbezahlt werden müssen. Die Tilgung der Kredite für Aus- und Umbau von Schule und Theater haben wir nach Absprache mit den Banken ebenfalls gestoppt.
Entgegen der gängigen Politikeraussagen sind die KfW-Kredite keineswegs unbürokratisch zu beantragen: Es sind höchste Kreditanforderungen an Auskünften und Bilanzen zu erfüllen, um diese Kredite überhaupt zu erhalten. Vor allem stellt sich aber die Frage: Wie soll ein durch Zwangschließung finanziell völlig geschwächter Kulturbetrieb die Rückzahlung bewerkstelligen?
Die Stage School zumindest darf mit gewaltigen Auflagen wieder öffnen.
Durch die Flexibilität und Kreativität meines künstlerischen Teams sowie durch die 4000 qm große Fläche der Stage School sind wir in der Lage, die behördlichen Auflagen zu erfüllen und gleichzeitig das hohe Ausbildungsniveau der Stage School weiter zu gewährleisten. Die Konzentration der Ausbildung wird jetzt noch stärker auf sehr individueller Einzelarbeit liegen. Was die Zukunft angeht: Die Stage School wird auch diesem Sturm trotzen und weiter großartige Künstler hervorbringen. Wir werden wie geplant mit dem neuen Schuljahr im August starten!
Das First Stage Theater macht mir deutlich mehr Kopfzerbrechen.
Die Initiative der Bundesregierung, dass der Verbraucher die schon gekauften Tickets in Form von Gutscheinen erhält, ist ein zweischneidiges Schwert: Wenn wir die schon vorverkauften Tickets alle zurückerstatten, würde das Theater daran zu Grunde gehen – wandeln wir die Tickets in Gutscheine um, ist unser Überleben zumindest kurzfristig gesichert. Langfristig jedoch werden die massenhaft eingelösten Gutscheine nicht nur uns, sondern die ohnehin schon sehr angeschlagene Theater- und Konzertbranche immens weiter schwächen, da es bei Wiedereröffnung des Spielbetriebes den Umsatz massiv schmälert.
Eine wirkliche Hilfe der gesamten Kreativbranche wäre die Übernahme der Gebäudemieten durch Bund und Länder – doch selbst das wird noch nicht reichen.
Kultur hat und hatte immer einen großen Anteil am Gemeinwohl und braucht jetzt dringend Unterstützung. Die Zwangsschließungen kommen wirtschaftlich einer Enteignung gleich – ohne finanzielle Hilfe des Staates und/oder der Wirtschaft wird es ein trauriges Massensterben einer einzigartigen Kreativlandschaft geben. Wenn die Betriebe nur noch vor einem gewissen Prozentsatz an Publikum spielen dürfen, wird sich der gesamte Theaterbetrieb kaum noch finanzieren können.
Über die verzweifelte Lage der gesamten Freizeitunternehmen bundesweit, wie z. B. die Fitnessstudios, Freizeitparks u.v.m., darf ich gar nicht weiter nachdenken.
Wir haben es aus eigener Kraft geschafft, in dem 2016 gegründeten Theater eine durchschnittliche Auslastung an Besuchern von 85 bis 90 % zu haben.
Hier türmen sich die Fragen, wie es weitergehen soll: Wie lange schaffe ich es, das Theater zu halten? Unter welchen Auflagen kann es wann wieder geöffnet werden? Wird das Publikum sich überhaupt so schnell trauen, wieder ins Theater zu gehen? Wie kann man die häufig auch schon älteren Besucher am besten schützen? Wie soll man ein Ensemble schützen? Muss sich die Kunst neu erfinden? Und immer wieder die Frage: Sind die jetzigen Maßnahmen der Regierung im Verhältnis zu den Kollateralschäden in allen Lebensbereichen überhaupt angemessen?
Über all das lässt sich zum gegebenen Zeitpunkt nur spekulieren: Doch eines weiß ich sicher – die Kunst und die Bühne werden NIEMALS sterben, solange es Menschen gibt. Es ist unsere Natur, gerade in schwierigen Zeiten einen Weg zu finden, uns kreativ auszudrücken. Wir zumindest werden alles tun, um unseren Beitrag dafür weiter zu leisten!!“