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Tim Burton: Delle im Kopf

Es ist ein makabres Panoptikum des Schauerlichen, dem Tim Burton vorsteht. Die Ahnengalerie des genialen Fantasy-Visionärs ist illuster: Edward mit den Scherenhänden, der rotzfreche Kobold Beetlejuice, der melancholische Knochenmann Jack aus Halloween-Land, Ed Wood, der weltschlechteste Science-Fiction-Regisseur … Jüngster Neuzugang, in „Sleepy Hollow“: der todbringende Kopflose Reiter mit seinem scharfen Schwert.

Der junge Tim Burton schwärmte von Horrohelden wie Vincent Price und Peter Cushing. Der erwachsene macht sich Film um Film daran, den Geist des Kindheitsgrusels heraufzubeschwören. Der blässliche, schmale, stets schwarzgewandete Burton pflegt ein leicht gruftiges Äußeres – fast könnte der Kalifornier seinen surrealen Filmen entsprungen sein. Wache, flinke Augen und ein schallendes, leicht meckerndes Lachen tun ein Übriges, diesen Eindruck zu verstärken: „Es sind diese frühen Erfahrungen, die dich direkt im Innersten berühren; die nehmen einfach eine Umleitung um den Intellekt – weil man den noch nicht besitzt. Manche Psychologen sagen ja, man wird als Kind geformt und verbingt den Rest seines Lebens damit, damit fertigzuwerden.“

Was allerdings nicht heißt, dass Burton seine Filme als Mittel sieht, nicht erwachsen werden zu müssen: „Auf dem Set bin ich der Dad, da bin ich der Erwachsene, ich muss alle möglichen Fragen beantworten, wenn Leute sich aufregen, muss ich sie beruhigen – glaub mir, ich fühle mich weißgott nicht wie ein Kind beim Drehen.“ Und doch: In Burtons Filmen wird Erwachsensein immer wieder als Mythos entlarvt – da hat sich Burton Johnny Depps Polizeiinspektor Ichabod Crane als alter ego aufgebaut: „Er gibt vor, tapfer zu sein, aber er ist es eigentlich nicht; er gibt vor, dass er weiss, wovon er spricht, auch wenn er keine Ahnung hat – und das finde ich einen sehr realistischen Charakterzug. Ich fühle mich jeden Tag so.“

Das mag man kaum glauben, so stimmig, wie Burton jedes Detail seiner Filme gelingt. Allein die Dekors in „Sleepy Hollow“: pittoresker, unheilschwangerer Verfall liegt auf Herrenhaus, fledermausiger Mühle und dem ganzen matschigen Weiler im Staate New York des Jahres 1799. Eine tiefenpsychologische Architektur, denn Burton liebt bei Folklore und Märchen den Subtext, das Unausgesprochene. „Das Thema? Logik gegen das Unerklärliche. Mit Ichabod haben wir eine Figur, die in ihrem eigenen Kopf lebt. Und welch besseren Gegenspieler könnte es geben als eine Figur, der der Kopf völlig fehlt? Ich liebe solche Bilder, solche Symbole.“

Das Spiel mit dem Übersinnlichen hat für Burton eine offensichtliche Quelle: das unerbittlich gute Wetter der US-Westküste. „Wenn du im südlichen Kalifornien aufwächst, gibt es keinen Sinn für Mythen, keinen Sinn für Geschichte, keinen Sinn für Kultur – gar nichts. Das war der Impuls für mich, mich auf Mythen zu stürzen: weil sie in meinem Leben fehlten.“ Realistische Filme, meint Burton, gibt’s genug, aber für neue Mythen ist immer noch Platz. Inzwischen hat er so viele Traumlandschaften erschaffen, dass es für sein – und unser – restliches Leben reichen sollte. Was beileibe nicht heißt, er möge damit aufhören.

Rolf von der Reith

Sleepy Hollow

USA 1999, 105 Min.

R: Tim Burton

D: Johnny Depp, Christina Ricci, Michael Gambon

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