Tim Hutton
Der Mann will etwas sagen, das merkt man, wenn man seine erste Solo-CD „Everything“ hört. Und das merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. Tim Hutton ist mit seinen ?? Jahren natürlich auch nicht mehr der typische „Newcomer“. Er hat viel erlebt: wilde Zeiten im Musikbusiness mit Punk, Acid House, Techno und diskutierbaren Bandnamen wie „Vulva“; eine Jugend im damals noch recht idyllischen Kenia, frühe Nestflucht Richtung London. Gereist ist er immer schon gerne, mit „Everything“ aber ist der stolze, zweifache Vater scheinbar erst richtig in seinem Leben und bei sich angekommen. Ulysses traf den Multi-Instrumentalisten zu einem anregenden, ungeplant sehr nachdenklichen Gespräch – vielleicht, weil an dem Tag der Herbst in Hamburg Einzug hielt.
_ulysses: Gerade Newcomer werden gerne in Schubladen gesteckt. Du machst es da den Kritikern nicht leicht…
Tim Hutton: Die Leute packen mich gern in die Singer-Songwriter-Ecke, weil es momentan nur wenige gibt, die da hineinpassen. Ich selbst sehe mich mehr als Künstler in der Tradition von Björk oder David Bowie. Ich bin nicht nur der Mann mit der Gitarre. Ich will Grenzen überschreiten – als Person und als Künstler.
_ulysses: Kann man denn heute wirklich noch was Neues machen?
Hutton: Ja, in dem Sinne, dass man bekannte Elemente auf neue Art und Weise zusammenfügt. Als ich nach Inspiration für die CD suchte, erinnerte ich mich an die Songs von Cole Porter. Daneben interessieren mich natürlich kräftige Beats und neue Sounds und das habe ich vermischt.
_ulysses: Kannst du dich an deinen ersten Kontakt mit Musik erinnern?
Hutton: Meine älteren Schwestern bekamen jedes Jahr Weihnachten das neue Beatles-Album, das hat mich als Kind geprägt. Und dann weiß ich noch, dass mir meine Mutter immer „Return To Sender“ vorgespielt hat (lacht). Ein Wunder, dass ich nicht als Elvis-Imitator groß geworden bin.
_ulysses: Der Titelsong „Everything“ ist ein sehr ehrliches Liebeslied. Glaubst du an die große Liebe?
Hutton (strahlt): Ja! Ich denke, ich habe sie auch gefunden. Es hat lange gedauert und ich war schon desillusioniert. Aber ich musste erst lernen, mir zu erlauben, romantisch und verletzlich zu sein.
_ulysses: Überhaupt klingt die ganze Platte wie ein Tagebuch. Hast du keine Angst, zu persönlich zu sein?
Hutton: Nicht, als ich die Songs geschrieben habe. Aber als ich sie später gehört habe, dachte ich schon „ojeeh“. Da fiel mir auf, wie persönlich sie sind. Ich war zu der Zeit in einer sehr hedonistischen Phase, war viel in Clubs unterwegs und guckte nun unter den Teppich, was sich da alles angesammelt hatte …
_ulysses: … und was kam zum Vorschein?
Hutton: … dass ich ein Idiot gewesen bin und mein Leben ziemlich verpfuscht hatte. Aber ich habe dann Leute wie Chad Baker entdeckt, der fast tot war und sich nochmal aufgerappelt hat. Er hat sich in seiner Musik sehr verletzlich gezeigt. Das habe ich mir auch erlaubt, daher klingt die Platte ziemlich melancholisch. Ich habe viel über mich nachgedacht und war sehr ehrlich. Aber keine Angst, ich kann auch fröhlich sein. (Stimmt! Spontan gibt er einen Witz zum Besten.)
_ulysses: Also war die Musik eine Art Therapie?
Hutton: Ich glaube ja. Ich habe im Moment meinen inneren Frieden gefunden. Aber etwas in mir will sich immer verbessern und das bedeutet auch, von Dingen loszukommen, die man nicht braucht.
_ulysses: Brauchst du Erfolg?
Hutton: Nein, nicht wirklich, aber ich möchte natürlich schon, dass die Leute meine Musik hören. Bei diesem Spiel wird Geld in mich investiert, da muss auch etwas zurückkommen. Früher wollte ich natürlich ein Star sein, heute ist Erfolg für mich einfach die Möglichkeit, weitermachen zu können.
_ulysses: Woher nimmst du die Kraft weiterzumachen?
Hutton: Ich lasse mich von Dingen und von anderen Menschen inspirieren. Man muss einfach an allem interessiert bleiben, sich selbst mit Informationen und Eindrücken füttern, die man verarbeitet und wiedergibt. So entsteht ein Kreislauf, der sich selbst in Gang hält.
Interview: Bärbel Pfannerer