Tobias Schenke
Kreuzberg, wo es am schönsten ist, am Maybachufer. Es ist ein sonniger Vormittag und ein fast ausgeschlafener Tobias Schenke erscheint in seinem Stammlokal, dem ehemaligen Schleusenhaus Ankerklause. Schenke braucht erst einmal einen Kaffee. Dann erzählt er von der Tragikomödie „Kleinruppin forever“ und von seiner Jugend im Osten.
_ulysses: Du wohnst gleich um die Ecke?
Tobias Schenke: Seit ich von zu Hause raus bin, wohne ich in Berlin, ich habe schon in den verschiedensten Bezirken gewohnt. Jetzt wohne ich seit einem Jahr in Kreuzberg, das war schon immer mein Wunschbezirk. Herumgetrieben hab’ ich mich hier schon seit Jahren.
_ulysses: Aufgewachsen bist du aber im Osten …
Schenke: In Brandenburg, in Klein-Machnow.
_ulysses: Was war damals dein Bild vom „Goldenen Westen“?
Schenke: Ich konnte mir damals darunter überhaupt nichts vorstellen. Wir wohnten ziemlich dicht an der Grenze und konnten über die Mauer auf die Häuser im Westen schauen. Wenn die Abendsonne strahlte, haben dort die Dächer geglänzt. Das war, was ich mir unter ,Goldener Westen’ vorgestellt hatte.
_ulysses: Fandest du die Wessi-Kids, die zu Besuch in den Osten kamen, damals blöd oder arrogant?
Schenke: Ich war viel zu klein, um wirklich Vorurteile zu haben. Wir haben einfach nur miteinander gespielt und unseren Spaß zusammen gehabt. Das habe ich mir aber auch behalten: Ich habe keine Vorurteile, ganz gleich, woher die Menschen kommen – ob aus dem Grunewald oder aus Bayern. Dieses Bundesland hasse ich zwar und ich finde es superspießig, trotzdem gibt es dort nette Leute, mit denen ich mich verstehe.
_ulysses: Warst du nie neidisch auf die Westkids?
Schenke: Neid hatte ich wirklich nicht. Mir ging es ja im Osten immer ganz gut. Meine Oma wohnte an einer Seenplatte, und wir sind ständig mit dem Boot rausgefahren – wer hat schon so eine Kindheit! Nervig war nur, dass uns ständig Typen von der Stasi hinterhergefahren sind. Meine Familie war mit den Havemanns (Robert Havemann war einer der bekanntesten Oppositionellen der DDR, Anm. d. Red.) befreundet und auch politisch aktiv. So hatten wir ständig irgendwelche Aufpasser um uns herum, beim Einkaufen genauso wie beim Boot fahren.
_ulysses: Wie hast du die Veränderungen nach dem Mauerfall wahrgenommen?
Schenke: Nach der Wende waren die Ost-West-Unterschiede für mich schon deutlicher. Wir wollten zum Beispiel auch auf deren BMX-Bahn fahren und kamen dann mit unseren alten Ost-Diamant-Fahrrädern an. Das fanden die natürlich nicht so cool und haben uns verjagt. Und als ich das erste Mal in einem Supermarkt war, habe ich einen LSD-Flash bekommen, weil dort alles so schön bunt war. Ich hatte vorher noch nie ein Eis am Stil gesehen.
_ulysses: Haben dich deine Erfahrungen in der Jugend politisch geprägt?
Schenke: Was genau in der DDR abgegangen ist, habe ich auch erst nach der Wende nach und nach begriffen. Ganz sicherlich aber hat mir das alles ein politisches Bewusstsein verschafft. Ich bin sehr an Politik interessiert, aber ich bin noch nicht so weit, dass ich sagen könnte ich hätte meine politische Richtung bereits gefunden.
_ulysses: Schlummert in dir ein kleiner Revoluzzer?
Schenke: Bei uns gab es Punker und Skins genauso wie im Westen. Durch die Lebensumstände in der DDR hatten wir allerdings alle ein echtes Gefühl für Revolution. Einfach irgendetwas losmachen zu wollen – wobei manche darunter leider auch Rechtsextremismus verstanden. Wir waren in allem einfach ein bisschen extremer als unseren West-Altersgenossen. Ich hab’ da natürlich auch mitgemacht, war aber eigentlich noch viel zu jung. Ich wusste, dass ich nichts gegen Ausländer und viel mehr gegen Nazis habe. Das genügte. Aber eigentlich bin ich mehr aus modischen Gründen mit zerfetzten Sachen herumgelaufen. Damit mussten sich auch unsere Lehrer abfinden. Solange wir noch in den Unterricht kamen, waren die zufrieden.
_ulysses: Und heute? Bist du erwachsener geworden?
Schenke: Das kommt darauf, was man darunter versteht. Was den Beruf angeht, so bin ich sicherlich disziplinierter und weiß genauer, was ich will und was nicht. Meine Wohnung ist aufgeräumter als noch vor zwei Jahren. Aber trotzdem bin ich immer noch ein Schluffi. Das geht nicht so schnell raus. Immerhin hat man die ganze Schulzeit über versucht, mir das auszutreiben und es nicht geschafft. Jetzt muss ich halt selbst drauf kommen. Ich weiß zwar, dass man etwas mehr Ordnung im Leben haben muss, aber es darf mir auch nicht zu weit gehen. Sonst wird’s ja gleich so spießig.
_ulysses: Also noch keine Eigentumswohnung gekauft oder das Reihenhaus mit Garten vorne raus?
Schenke: Nee (lacht). Ich habe mein Geld nie gespart, sondern immer gleich ausgegeben, für Reisen vor allem. Ich hab’ das auch nie bereut. Ich plane auch nie lange im Voraus. Ich weiß jetzt zum Beispiel nur: Im Winter pack’ ich wieder die Koffer und bin weg.
Interview: Axel Schock