TV-Tipp: Gary Oldman als Churchill in „Die dunkelste Stunde“
Der Schauspieler ist als Premierminister fast nicht wiederzuerkennen – spielt aber brillant wie immer.
Als Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten wurde, stellte er als allererste Amtshandlung eine verbannte Büste des britischen Premierministers Winston Churchill ins Oval Office zurück. Er beruft sich damit auf den Mann, der im Jahr 1940 eine politisch und militärisch bankrotte britische Regierung übernahm und innerhalb von vier Wochen Parlament, Minister und Volk mit der Kraft seiner Worte dazu brachte, um wirklich jeden Preis in den Krieg mit Nazi-Deutschland zu gehen.
Joe Wright („Abbitte“, „Stolz und Vorurteil“) wirft in „Die dunkelste Stunde“ einen sehr intimen Blick auf die vier wohl wichtigsten Wochen des 20. Jahrhunderts, auf die Wochen in London, die letztlich über die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland entschieden. Wrights Film zeigt Stunden, Tage und Wochen, in denen Churchill – gerade erst zum Premier ernannt – in der eigenen Regierung und im eigenen Volk als Kriegstreiber galt, der die Interessen Englands mit seiner Sturheit verrate. Da der Film mit dem Vorstellungsgespräch der neuen Sekretärin Churchills, Elizabeth Layton (Lily James), beginnt, folgt man Churchill gemeinsam mit ihr, die diesen ab sofort bis vor die Klotür begleiten muss, weil er ihr noch von dort aus in den Stenoblock diktiert.
„Die dunkelste Stunde“ zeigt einen zutiefst menschlichen Politiker
Gespielt wird der Premier von Gary Oldman („JFK“, „Dame, König, Ass, Spion“), der nur unter der Bedingung antrat, dass Kazuhiro Tsuji („Men in Black“, „Planet der Affen“) für die Maske verantwortlich ist. Tsuji, obwohl hauptberuflich längst zur Bildhauerei übergegangen, verwandelte Oldman mit viel Aufwand und neuester Maskentechnik überzeugend – man erkennt den Schauspieler nicht wieder. Der private Blick auf den Premier gelingt aber auch durch den Fokus des Films auf die Marotten des Menschen Churchill, auf seine Schwächen, Alkohol schon am Mittag, das Lispeln, die Ungeduld, das Überspielen der eigenen Unsicherheit vor allem bei politischem Gegenwind, kurz: Joe Wright zeigt den Zuschauern einen zutiefst menschlichen Politiker. Dabei wird der Regisseur auch in seinen filmischen Mitteln sehr intim.
Kaum etwas bleibt übrig von Wrights filmtechnischem Aufwand wie zum Beispiel gesehen in „Abbitte“ bei der vierminütigen Kamerafahrt über das Kriegschaos am Strand von Dünkirchen, die in ihrer Einmaligkeit Filmhistorie schrieb. In „Die dunkelste Stunde“ muss Wright zwar wieder nach Dünkirchen gehen, weil die dortige Schlacht bis zum letzten Mann wie nichts anderes für die Haltung Churchills steht. Geprägt aber wird der Film von den erbitterten Debatten im Unterhaus, von den erdrückenden Szenen in der Kommandozentrale des Kriegskabinetts und als Gegengewicht dazu von den familiären Szenen bei den Churchills zu Hause, wo Kristin Scott Thomas als Churchills Gattin Clemmie einen starken Gegenpart zu Oldman spielt; Churchill ist hier, in privatem Umfeld, der große Zweifler und Zauderer.
Ein Film mit Ambivalenz
Im Sommer vor der Veröffentlichung von „Die dunkelste Stunde“ lief Christopher Nolans Kriegsfilm „Dunkirk“ in den Kinos, ebenfalls ein Film über die entscheidenden Wochen des zweiten Weltkriegs. Doch während Nolan zu Recht Kritik erntete – man warf ihm sogar vor, Tory Porn gedreht zu haben –, zeigt Wright die gesamte Ambivalenz der damaligen Situation. Churchill war ein Tory, ein Konservativer Zeit seines Lebens. Dass er auch Schriftsteller war und später als solcher sogar den Nobelpreis erhielt, dass er sich privat als Bildender Künstler versuchte: Wright verwendet es nicht – im Mai 1940 zählte ausschließlich das rhetorische Talent des Mannes und seine Überzeugungskraft in einer Stunde, da Krieg so unpopulär war, dass man fast einen Friedensvertrag mit Nazi-Deutschland geschlossen hätte.
Menschen mit politisch linker Einstellung werden mit einem konservativen Mann, der seine Bevölkerung für einen mörderischen Krieg begeisterte, emotional vielleicht nicht viel anfangen können. Die Entscheidung Englands Anfang Juni 1940 für den bedingungslosen Krieg gegen Deutschland war aber die einzig richtige. Und Joe Wright zeigt uns, wie intensiv damals um den richtigen Weg gerungen wurde. Im Oval Office in Washington mag seit Trump eine Büste von Winston Churchill stehen, sollte Biden sie nicht inzwischen entfernt haben. Das hat aber mit dem Mut der Engländer 1940 absolut gar nichts zu tun.