Ulf Erdmann Ziegler: Und jetzt du, Orlando!
Kann man einen Menschen, eine Beziehung, eine Freundschaft in Worte bannen? Ein Leben schreiben? Das sind Fragen, denen sich die Literatur immer wieder zu stellen hat. Ulf Erdmann Ziegler nähert sich dieser Problematik mit leichtfüssigen, aber energischen Schritten und cineastischer Gehhilfe. Denn zunächst geht es in seinem neuen Roman nicht ums Schreiben, sondern ums Kino. Sein Ich-Erzähler Oliver hat einiges richtig gemacht: Er führt eine liebevolle Ehe, hat eine hübsche Tochter und einen Job beim unabhängigen Filmverleih Turnstyle Movies, der ihm Spass macht und ein angenehm sorgenfreies Leben im London der Jahrtausendwende ermöglicht. Und doch sind da die kleinen Erschütterungen, die Unebenheiten im Alltag und die filmreifen Themen wie Tod, Sehnsucht, Scheitern, Liebe, Sinnlosigkeit. In Orlando, dem schönen, geheimnisumwitterten jungen Mann, der für das Partnerunternehmen Turnstyle Music die Rechte an Filmmusik verwaltet, findet Oliver einen Gesprächspartner. Auf nächtlichen Streifzügen durch London erzählen die beiden einander ihre Geschichten und tauschen Gedanken aus. So lange, bis sich die Situation bei Turnstyle zuspitzt und etwas geschieht, das Oliver am Schreibtisch sitzend mit Heft und Bleistift und der Frage zurücklässt: Wer eigentlich ist Orlando?
Dass sich Romane beim Kino bedienen und mit Flashbacks und Flash-Forwards arbeiten, mit Closeups, Zeitraffern und dialogreichen Szenen, ist nicht neu und für eine Geschichte, in der Filme auch inhaltlich eine zentrale Rolle spielen, nicht mal besonders originell. Dass dabei so dicht gewebte Figuren, so poetische, kraftvolle Bilder entstehen, und dass man sich dem Sog des Textes kaum mehr entziehen kann, das allerdings ist bemerkens- und vor allem lesenswert. Und mindestens so unterhaltsam wie jeder gute Kinofilm. (jc)