Vic Chesnutt
Den Songwriter aus Georgia kannte man als depressiven Selbstbeschimpfer, als ätzenden Kritiker von Kleinstadt-Amerika. Sein sechstes Album ist nun eine große Studioproduktion und, siehe da, weniger melancholisch. Doch „The Salesman And Bernadette“ (Rough Trade) ist hinter der lebenslustigen Fassade ein typischer Chesnutt – sarkastisch und ein wenig ratlos ob der Banalität der Welt.
KULTUR!NEWS: Vic, wo ist deine lebenserprobte Bitterkeit hin?
Vic Chesnutt: Das Album wurde durch die schiere Anzahl der Mitwirkenden so kraftvoll; ich selbst habe mich nicht groß geändert. Wenn Leute ein depressives Album brauchen, können sie sich ja meine alten Platten anhören. Es ist, als wenn ein großer Stein einen Hügel herunterrollt: Der kriegt richtig Fahrt. Ich habe regelrechte Ausgelassenheit erlebt, wenn die Bläser so richtig loslegten; dem war ich bisher nicht einmal nahegekommen.
K!N: Hast du dich an die Arbeitsweise deiner Begleitband Lambchop anpassen müssen?
Chesnutt: Es ist kein musikalischer Kompromiß, sondern das Aufeinandertreffen von Gleichgesinnten. Ich kenne sie gut und wußte, was ich mit ihnen anstellen konnte. Wie ein Maler, der weiß, daß er den Himmel blau zu malen hat. Ich habe ihnen die Songs auf den Leib geschneidert.
K!N: Apropos – kommst du denn noch zum Malen?
Chesnutt: Tue ich. Es ist ähnlich wie das Songschreiben, ich gehe mit demselben Eifer ran. Ich sollte eigentlich eine Ausstellung in München machen, aber buchstäblich in letzter Minute, als ich schon alles zusammengepackt hatte, machte meine Frau Tina Witze über die Bilder. Ich wurde bockig, sie wurde bockig und sagte, sie sind furchtbar!, und ich sagte: Ich zeige sie garantiert nie wieder jemandem. Dann habe ich den Mist weggesteckt. Ein paar Leute sind da jetzt wohl einigermaßen sauer auf mich.
K!N: Hättest du auch so reagiert, wenn die Kritik deinen Songs gegolten hätte?
Chesnutt: Da habe ich mehr Selbstvertrauen. Wenn sie über die Musik gelästert hätte, hätte ich gesagt: Fuck you, du verstehst das einfach nicht! Und damit hätte es sich gehabt. Aber sie hat ihren Abschluß in Kunst gemacht …
Interview: Rolf von der Reith