Vic Chesnutt Interview
Vic Chesnutt
Er liebt japanische Haikus und altchinesische Lyrik – und doch wird man von Vic Chesnutt eher Songs über Ritter der Politischen Korrektheit und die Verkommenheit eines George Bush jr. hören als welche über Frösche am Tümpel im Morgenlicht. Auf seiner Deutschlandtour hat Chesnutt diesmal Verstärkung von Widespread Panic, mit denen zusammenen er unter dem Decknamen Brute das herausragende Album „Nine High a Pallet“ (Trocadero) aufgenommen hat.
city.mag: Vic, eure gemeinsamen Songs haben jetzt einige Jahre in der Schublade geschlummert. Geben sie immer noch deine Sichtweise wieder?
Vic Chesnutt: O ja, sehr sogar. Ich habe mich da anscheinend nicht sehr geändert. Ich hatte die Songs schon fast vergessen, und als ich sie jetzt wiedergehört habe, dachte ich: Wow, das habe ich geschrieben, diesen Song hier?! Das ist, als wenn du dir nach 20 Jahren die Bilder in deinem High-School-Jahrbuch anguckst und sagst: Hey, ich hab ganz schön cool ausgesehen damals!
city.mag: Je älter du wirst, wird es also schwerer, cool zu bleiben? Sich im kulturellen Mainstream zurechtzufinden, der schließlich vom Teenie-Geschmack bestimmt wird?
Chesnutt: Ein Teil des Mainstreams war ich ohnehin nie, mein ganzes Leben nicht. Die Populärkultur in Amerika ist HipHop, alle Mittelschichtskids sind regelrecht besessen davon. Was ziemlich ironisch ist: Gleich als es mit dem Rap los ging Anfang der Achtziger, fiel mir auf, dass all die Rassisten Rapmusik hörten. Ich habe einen Lieferwagen mit Südstaatenfahne gesehen, und die Typen drin hörten höllisch laut Rapmusik. Ich dachte nur: Meine Güte, das ist krank! Da treffen sich einfach zwei Extreme: sich besonders hart zu geben, große Reden zu schwingen – die Rassisten lieben das. Und die weißen Kinder wollen schwarz sein, sie reden und ziehen sich ghettomäßig an – gerade ist Sträflingskleidung in.
city.mag: Ist das derselbe Teenage-Zwang, die Musik zu hören, die die Eltern am meisten verabscheuen?
Chesnutt: Genau das ist es. Eltern hassen Rap-Musik. Ich dagegen mag sie.
city.mag: Was daran denn?
Chesnutt: Manches ist gut, es gibt interessante Texte, interessante Toncollagen, aber ich hasse auch vieles aus dem Bereich, weil es einfach langweilig und dumm ist – da geht es einfach nur ums Geld. Und im HipHop steckt unglaublich viel Geld.
Interview: Rolf von der Reith