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Volker Kutscher: Märzgefallene – Gereon Raths fünfter Fall

Normalerweise sind historische Krimis die Pest, denn denkt man sich die Geschichtsfolklore weg, bleiben oft nur ein kümmerlicher Plot und langweilige Charaktere. Volker Kutscher aber rettet das Genre. Rettet es mit dem fünften Gereon-Rath-Krimi nicht nur, sondern adelt es mit einer grandiosen Verschränkung von Zeitgeschichte und Kriminalfall. Adolf Hitler ist vor wenigen Monaten als Reichskanzler eingesetzt worden und soll bald durch Wahlen bestätigt werden. Da wird der Reichstag abgefackelt, eine Woche vor den Wahlen, und die Nazis starten eine so große wie brutale Hatz auf alles, was irgendwie links ist. Rath nimmt die politische Entwicklung überhaupt nicht ernst; er gehört murrend zur einzigen kleinen Abteilung der Berliner Polizei, die nicht nach dem Brandstifter fahndet, sondern die Ermordung eines Obdachlosen aufklären soll. Nebenbei bereitet er sich auf die Hochzeit mit Charlie Ritter vor und reaktiviert außerdem seine Kontakte zur Berliner Unterwelt. Als sein Boss Böhm als einfacher Polizist nach Köpenick versetzt wird, weil er auf einer Wahlkampfveranstaltung der SPD gesehen wurde, dringen die politischen Repressionen bis zu Raths Schreibtisch vor.

„Märzgefallene“ (ein höhnischer Begriff der Nazis für die Umfaller, die im März 1933 Hals über Kopf der NSDAP beitraten) ist vor allem so überzeugend, weil Kutschers Protagonisten glaubwürdig indifferent bis opportunistisch mit dem System umgehen, sofern sie nicht eh schon auf Seiten der Nationalsozialisten stehen. Sie tun ihre persönlichen Dinge, während sich im Hintergrund Historisches tut. Was aber nur wir wissen, denn das Kutscher-Personal schiebt es einfach so beiseite, vor allem Rath selbst. Er kann seinen Vater in Köln nicht verstehen, der den dortigen Oberbürgermeister Kurt Adenauer unterstützt, den die SA schon jetzt am liebsten an die Wand stellen würde. Kutscher wird noch drei Gereon-Rath-Krimis schreiben. Eine Verfilmung als Serie durch Tom Tykwer ist bereits geplant. Sie soll ein deutsches „Boardwalk Empire“ werden, was natürlich Humbug ist. Die Bücher von Volker Kutscher aber liefern für eine gute Serie über das Ende der Weimarer Republik und das Aufkommen des Nationalsozialismus die nötige Qualität. (jw)

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