Gitarren-Dämmerung: Vraell zu seinem Debütalbum „Once A Blue Hour“

Beim Gedanken an die Kindheit wird Singer/Songwriter Alessio Scozzaro alias Vraell ganz nostalgisch. Zum Glück hat er seine Gitarre – und einen guten Therapeuten.
Alessio, ich hab gesehen, dass deine Gitarre an einer Stelle total abgerockt ist. Spielst du etwa immer noch auf deiner ersten Gitarre?
Alessio Scozzaro: Ja, das ist eine Admira Capricho. Meine wunderbar gealterte Gitarre, die ich seit meinem 14. Lebensjahr spiele. Ich konnte einfach nie eine Gitarre finden, die besser klingt.
Warst du ein Wunderkind, das gleich alles spielen konnte?
Scozzaro: Nee, ich hatte schon eine Ausbildung. Eine klassische. Ich habe viel von Pianisten gelernt, deren Stil ich auf der Gitarre nachzubilden versuche. Der Kontrapunkt ist eine große Inspirationsquelle für mich – mein Daumen spielt den Rhythmus, und mein Ringfinger die Melodie. Momentan übe ich den ganzen Tag ausschließlich den kleinen Finger, da der sonst nur Handstütze ist.
Was hat denn aus deinem klassischen Studium auf deinem Debütalbum „Once a Blue Hour“ überlebt?
Scozzaro: Ich habe dort begonnen, den Stil zu entwickeln, der jetzt in dem Album zu hören ist. Mehr oder weniger aus der Not heraus. Ich war technisch nämlich nie perfekt genug, um wirklich alles spielen zu können, was die Klassik so zu bieten hat, weshalb ich immer auch meine eigenen Wege suchen musste. Mein ausgezeichneter Lehrer hat mich darin aber stets ermutigt. Darüberhinaus beeinflussen mich moderne Komponisten wie etwa Gustavo Santaolalla oder Estas Tonne, der als Straßenmusiker begonnen hat. Mit meiner Musik versuche ich, das persönliche und individuelle von Straßenmusik einzufangen.
Dein Debütalbum ist tatsächlich sehr persönlich geworden.
Scozzaro: Für mich ist dieses Album eine erste von vielen Studien in Songwriting und Gitarrentechnik. Aber auch eine persönliche Meditation. Ich schreibe hauptsächlich während der Dämmerung, da in dieser ruhigen, blau getönten Zeit Gedanken in mir aufkommen, die ich sonst unterdrücke. Die Dämmerung ist wie ein Ersatz für meinen Therapeuten, wenn der weit weg ist.
Was sagt denn dein Therapeut zu deiner Musik?
Scozzaro: Er findet alles gut, wodurch ich mich ausdrücke, solange das keine selbstzerstörerischen Züge annimmt. Der Song „Ladybird“ ist so ein Versuch, einen schwierigen Gedanken auf gesunde Weise zu verarbeiten. Ich muss häufig an das Unbeschwerte der Kindheit denken. Ich romantisiere das wahrscheinlich, aber in mir kommen dann Visionen von Sonnenaufgängen aus der Kindheit und der puren Freude auf, die man damals fühlte. Doch unser ursprünglicher Frieden geht beim Erwachsenwerden irgendwann verloren und erscheint nur noch als flüchtiger Traum. Flüchtig, wie ein Ladybird, ein Marienkäfer, der auf deinem Arm landet, dich kurz glücklich macht, nur, um im nächsten Moment wieder wegzufliegen.
Du kombinierst gerne Streicher und Gitarre. Ist das deiner Liebe zu Max Richter und Bon Iver geschuldet?
Scozzaro: „For Emma, forever ago“ von Bon Iver und „On the Nature of Daylight“ von Max Richter gehören zu meinen Lieblingsalben. Besonders Max Richter bewundere ich für seine simplen Kompositionen, in denen trotzdem so viel Absicht und Kalkulation steckt. Aber ganz besonders beeinflusst hat mich auch „For now I am Winter“ von Óllafur Arnalds, wie man vielleicht hört. Bis ich dieses Album gehört habe, wusste ich einfach nicht, dass man so Musik machen kann.