„Wicked: Teil 2“ – Ein neuer Standard für Musicals
Ein Finale, das größer denkt, tiefer fühlt und Oz in ein neues Licht rückt. „Wicked: Teil 2“ glänzt mit schauspielerischer Glanzleistung.
Ein Jahr ist vergangen, seit „Wicked“ die Kinos grün-pink eingefärbt hat. Der Hype war damals riesig: Broadway-Fans waren Feuer und Flamme, Fantasy-Liebhaber:innen bekamen ihre Magie, Ariana-Grande-Fans ihr Pop-Idol und Oz-Nostalgiker ein visuelles Heimspiel. Trotzdem blieb nach Teil 1 leise die Frage im Raum hängen: Kann „Wicked: Teil 2“ an diese riesigen Erwartungen anschließen? Nun also, ein Jahr später, folgt mit dem zweiten Teil, der jetzt in den Kinos läuft, der große Abschluss – fünf Stunden Gesamtspielzeit für eine Geschichte, die nie weniger als monumental sein wollte.
Wie alles begann: Der erste Film entführte uns ins farbenprächtige Oz und schilderte mit überraschender Tiefe, wie aus der Rivalität zwischen der verwöhnten Glinda (Ariana Grande) und der missverstandenen Elphaba (Cynthia Erivo) eine ungewöhnliche Freundschaft entsteht. Er eröffnet mit Glindas Verkündung vom Tod der „bösen Hexe“. Sie wirkt distanziert, passiv. Eine Szene aus der Zukunft, die noch an großer Bedeutung im Finale gewinnt. Dann führt die Handlung an die Universität von Shiz zurück – den Ort, an dem alles begann. Zwischen Magie-Unterricht, Intrigen und politischer Spannung wächst das skurrile Duo zusammen, während Tiere in Oz plötzlich ihre Rechte verlieren und nur Elphaba dagegen aufsteht. Mit dem Showstopper „Defying Gravity“ endet Teil eins. Elphabas Rebellion macht sie zur meistgesuchten Hexe des Landes und lässt das Publikum mit einem starken Cliffhanger zurück.
Das Finale: Freundschaft, Propaganda und der Preis der Wahrheit
Der zweite Teil knüpft direkt an und führt Oz in eine düstere, politisch geladene Phase. Elphaba ist auf der Flucht, während der Zauberer (Jeff Goldblum) mithilfe von Propaganda und Angst ein glänzendes, aber unterdrückerisches System aufbaut. Tiere verlieren ihre Rechte, Überwachung nimmt zu, und Glinda wird zur Symbolfigur der Hoffnung instrumentalisiert. Erst genießt sie die Rolle der Lichtgestalt, doch Fiyero (Jonathan Bailey) und die Wahrheit zwingen sie, in den Spiegel zu schauen. Die Freundschaft der beiden Frauen wird durch politische Intrigen, Loyalitätskonflikte und ein Liebesdreieck auf die Probe gestellt, doch gerade daraus gewinnt der Film seine emotionale Kraft. Die Frage, ob ein Volk wirklich einen Feind braucht, um vereint zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Elphaba und Glinda beantworten diese Frage auf völlig unterschiedliche, aber emotional zutiefst berührende Weise.
Der Film überzeugt mit eindrucksvollen Bildern und kraftvollen Darstellungen: Cynthia Erivo liefert eine tief berührende Performance, singt und spielt live, zeigt viele Stunts selbst und macht Elphabas Außenseiterrolle zu einer rebellischen Herzensangelegenheit. Ariana Grande überrascht mit einer emotional aufgeladenen, erwachsenen Interpretation von Glinda, deren innere Wandlung glaubhaft und feinfühlig erzählt wird. Grandes schauspielerische Leistung zählt mit ihren perfekten Gesangsmomenten, feiner komödiantischer Ironie und in jeder Mimik spürbarer Verletzlichkeit zu den großen Highlights. Aber vor allem die Chemie zwischen Erivo und Grande bildet das Herzstück des Films und sorgt besonders im finalen Song „For Good“ für einen echten Gänsehautmoment. Regisseur Jon M. Chu gelingt es, beide Figuren so vielschichtig und nahbar zu zeichnen, dass man das Gefühl hat, sie persönlich zu kennen. Eine Qualität, die man im Kino nur selten auf so einer Ebene erlebt.
Ein Blick auf die Dramaturgie
Der Film nimmt sich anfangs viel Zeit, bevor er im letzten Drittel von Wendepunkt zu Wendepunkt hastig Richtung Finale sprintet. Trotz Überlänge wirkt das Ende fast zu schnell erzählt, um ausreichend Raum für große Emotionen zu lassen. Der dramaturgische Aufbau findet aber doch seine Vollendung in der letzten Sequenz, die zurückführt zur allerersten Szene aus Teil eins. Wieder steht Glinda vor dem Volk, wieder verkündet sie den Tod der „bösen Hexe“– nur dieses Mal flieht die Kamera nicht davon. Stattdessen bleibt sie, und Glinda hält eine Rede, in der sie von Einheit, Wahrheit und Verantwortung spricht. Sie hat aus ihrer Freundschaft gelernt und möchte Oz nun zu einem besseren Ort für alle machen. Es ist ein symbolischer Moment, der die Geschichte rund schließt und zeigt, dass der wahre Zauber dieses Zweiteilers nicht im Spektakel, sondern im emotionalen Wachstum seiner Figuren liegt.
Ein neuer Standard für Musicals
„Wicked: Teil 2“ erfüllt seine Mission: Es huldigt dem Musical, dem Originalfilm „Der Zauberer von Oz“ und seinen beiden legendären Figuren, öffnet Oz für eine neue Generation und schafft ein Ende, das gleichzeitig groß, zart, politisch und zutiefst menschlich ist. Wenn das Kino dunkel wird und die letzten Töne verklungen sind, bleibt dieses bittersüße Gefühl zurück, dass manche Geschichten gerade deshalb magisch sind, weil sie uns zwingen, Abschied zu nehmen. Glinda und Elphaba haben uns gezeigt, wie sich Rivalität in Loyalität verwandelt, wie Mut mehr ist als Magie und warum Oz ein so besonderer Ort ist, den wir vielleicht nie wirklich verlassen wollen. Die Leidenschaft aller Beteiligten ist in jeder Szene spürbar. Die Wicked-Magie, die einst Maßstäbe im Musical setzte, wird hier auf eindrucksvolle Weise neu interpretiert – durch starke Charakterentwicklung, leidenschaftliches Schauspiel, eine Mischung aus bekannten und neuen Songs und eine liebevoll ausgestaltete, farbenprächtige Welt voller Zauber.