Wie in der Kita
Die Musik von Jeff Lynne’s ELO klingt sehr aufgeräumt. Trotzdem hat dieser Mann einen Hang zum Messietum.Von Steffen Rüth
Aus dem Nichts ist dieses Album keineswegs gekommen. Auch wenn es „From out of Nowhere“ heißt, ist die Überraschung und allgemeine Verblüffung über seine bloße Existenz nicht mehr so groß wie vor vier Jahren, als Jeff Lynne mit seiner neu formierten Truppe ELO nach fast 30-jähriger Pause die Platte „Alone in the Universe“ herausgebracht hat.
„Ich bin ein alter Knacker, daran gibt es nichts zu rütteln“, sagt der 1947 geborene Brite, der seit Ewigkeiten in Los Angeles lebt und dessen ziemlich zersauselte Aura mit dem Begriff „unprätentiös“ noch zurückhaltend umschrieben ist, über seinen karriereherbstlichen Kreativschub. „Aber die Leute wollten mich sehen und meine Lieder hören. Das hat mich massiv überrascht und motiviert wie einen jungen Hund. Normalerweise sind Typen wie ich ja nur noch Futter für die Oldie-Parade.“ Insbesondere nach seinem grandiosen Konzert im Londoner Wembley Stadion 2017, bei dem auch der Film „Wembley or Bust“ gedreht wurde, war Lynne klar, dass er jetzt nicht einfach wieder abtauchen kann. „Ich bin ein morscher Knochen, der gern die ganze Nacht aufbleibt und es liebt, ein Gläschen zu trinken. Immerhin habe ich mit dem Rauchen aufgehört, vor 15 Jahren schon.“ Was er sagen will? „Ich bin nichts Besonderes. Ich bin ein ganz normaler Kerl. Ich habe lediglich ein gewisses Talent und meinen Ehrgeiz.“
Bescheiden ist Jeff Lynne also auch, denn was dieser Vogel geleistet hat, brachte ihm Grammys, einen Stern auf dem Hollywood Walk Of Fame oder auch die Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame ein. Mit seiner Band ELO lieferte Lynne in den 70ern und frühen 80ern reihenweise Klassiker des Gitarrensoftrock, zu den bekanntesten Songs zählen „Hold on tight“, „Roll over Beethoven“ und „Don’t bring me down“. Später, gegen Ende der 80er, feierte er große Erfolge als Produzent von Tom Petty („Full Moon Fever“) oder George Harrison („You got it“) sowie – neben Petty, Harrison, Roy Orbison und Bob Dylan – als Mitglied der Traveling Wilburys („End of the Line“). Was sämtliche dieser Werke eint und jetzt auch auf „From out of nowhere“ wieder unverkennbar ist: der typische Jeff-Lynne-Sound. Ein bisschen Beatles, ein bisschen Beach Boys, alles klingt monstermäßig entspannt und mühelos, Politik, Trump-Kritik sowie sonstige Spannungen haben auf dieser herrlich zuversichtlichen Songsammlung keinen Platz. Und nach 33 Minuten mit zehn neuen und zugleich alterslos klingenden Liedern wie „All my Love“ (langsam), „Down came the Rain“ (mittel) und „One more Time“ (schnell) ist auch schon wieder Schicht. Jeff Lynne hat praktisch das ganze Album mitsamt aller Instrumente von der Gitarre bis zur Geige auf unzählig vielen Spuren selbst eingespielt, und zwar in seinem Heimstudio in Beverly Hills, das er, wer will sich wundern, als ansatzweise messiemäßig beschreibt. „Alles muss bei mir an seinem Platz liegen, sonst finde ich es nicht wieder. Das führt zu hohen Stapeln und sieht für Außenstehende wie eine Kita am Freitagnachmittag aus“, sagt Lynne grinsend. „Aber egal, Hauptsache, ich habe meinen Spaß.“