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Wie Nachhaltigkeitswünsche eine neue Arts-and-Crafts-Bewegung befeuern
Kunst und Kunsthandwerk, Arts and Crafts: Was einst Ende des 19. Jahrhunderts als noch sanfte gegensätzliche Bewegung zur Industrialisierung begann, erhob sich rund ein Säkulum später zu einer mitreißenden Welle.
Nicht nur die Arts and Crafts Exhibition Society machte damit Furore, auch außerhalb dieser Vereinigung besannen sich immer mehr Kunstschaffende auf alte Techniken und Materialien.
Architekten wussten die überlieferten Zeichnungen, die sich nicht nur mit der reinen Architektur, sondern auch klimatischen Erfordernissen, mit Akustik und der Verwendung von Vorhandenem befassten, wieder zunehmend zu schätzen. Handwerker gingen auf der Suche nach Ausgangsstoffen zurück in die Natur. Materialien wie Holz und Ton, Erz- und Mineralerden wurden vermehrt in die Herstellung einbezogen.
Bei der visuellen Umsetzung ihrer Ideen, beim Design gingen bereits damals die Künstler und Handwerker neue Wege. Sie brachten die alten Techniken und zeitgemäße Vorstellungen perfekt zusammen. Dies jedoch bereits damals auf eine bewusste, Ressourcen schonende Weise, die sich vom „schnell und viel“ der geradezu explodierenden Industrie des 19. Jahrhunderts abhob.
Gegensätze mit Potenzial
Zwei Welten standen sich gegenüber, die Industrierevolution und das Arts and Crafts Movement auf der anderen Seite. Während für die einen der Profit zählte, waren für die anderen die sorgsame Herstellung, eine deutliche kulturelle Sensibilität und im wahrsten Sinn des Wortes handwerkliche Prozesse Antrieb und Ziel. Arts und Crafts war auch ein Kontrapunkt und Schauplatz von Konflikten, wie sie Schriftsteller wie Gerhard Hauptmann in seinen Webern beschrieb.
War die Bewegung anfangs vor allem in England und den USA stark, fand sie zunehmend ihren Weg auch in andere Länder. Auf dem europäischen Festland beeinflusste Arts and Crafts Richtungen wie das Bauhaus, Art Nouveau und die Wiener Werkstätte.
Die stärksten Jahre hatte das Movement zwischen 1870 und 1920, um bald danach zunehmend in den Hintergrund zu geraten. Jetzt begann die zweite industrielle Revolution, die im Mittelpunkt stand. Knapp zwei Jahrzehnte später blieb den Menschen kaum eine Wahl, was sie wann und wo schufen, der Zweite Weltkrieg begann.
Hochtechnologisierung, Hektik, Wegwerfmentalität und ähnliche Zeiterscheinungen waren sicher einige wenige von vielen Anlässen, die Arts and Crafts wieder erstarken ließen. Auch das verstärkte Bewusstsein, dass Ressourcen nicht unendlich sind, bringt Kunstschaffende auf alte und zugleich neue Wege. Selbst die Medien nehmen sich dem Thema an.
War noch vor nicht allzu langer Zeit Wegwerfen billiger als Reparieren, hatten selbst Elektroartikel ein gewolltes „Verfalldatum“, wird nun im Sinne der Nachhaltigkeit auf eine lange Nutzung, auf Wiederverwendung und Verwendungsalternativen gesetzt. Man hilft sich gegenseitig in Bürger-Ringen, in Repair-Cafés oder via Kleinanzeige. Aus zwei nicht mehr intakten Geräten wird eins. Ein alter Rahmen vom Flohmarkt ziert moderne Digitaldrucke, und das nicht nur, weil es eben umwerfend aussieht.
Skulpturen aus Recyclingmaterial wie Dosen, Zahnrädern und Alteisen zieren längst auch öffentliche Plätze. Aus alten Plastiktüten werden modische Einkaufstaschen, deren Lebensdauer durch eine gekonnte Verarbeitung die des Ausgangsmaterials übertrifft. Es wird repariert statt weggeworfen, Löcher in Kleidungsstücken werden kunstvoll ausgestickt, sodass man den früheren Makel nicht mehr erkennen kann.
Hand und Maschinen im Einklang
Was sich im Gegensatz zum ursprünglichen Arts and Crafts Movement nun dennoch geändert hat, sind Werkzeuge und Verfahren. Die menschliche Hand darf öfter ruhen, digitale Werkzeuge ersetzen sie beim Malen, beim Fertigen von technischen Plänen und dem Entwurf von Bauteilen. Das alte Wissen ist präsent und bildet nach wie vor die Basis.
Auch Design wendet sich wieder verstärkt seiner eigentlichen Bedeutung zu. Aussehen und Funktion sind gleichrangig. Beim modernen Arts and Crafts kommt es nicht darauf an, dass möglichst billige Produktionswege gewählt werden, auch wenn Technologie eine bedeutende Rolle spielt. Was zählt, ist der Charakter, die Seele von Produkten. Die Ästhetik hat mehr Raum denn je. Langlebigkeit ist ein großes Thema, und, wie früher auch, Nachhaltigkeit.
Moderne Methoden wie Visualisierungen werden eingesetzt, um andere Perspektiven auf ein Werk, auf ein Produkt möglich zu machen. An Universitäten wird gelehrt, wie einzelne Aspekte zwischen Handwerk, Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit sinnvoll und zielführend verknüpft werden können. Sogar neue Begriffe werden dafür geprägt.
Die neuen Crafts
Handicrafts haben, auch wenn sich der Gedanke Laien vielleicht aufdrängt, bestenfalls rudimentär mit dem Handy zu tun. Sie stehen für überliefertes Handwerk, in der Ausführung selbst und im Erhalt von Traditionen. Auf diese Traditionen wird jedoch mit einem veränderten Augenmaß geschaut: Was war wirklich gut, wo lohnt es sich, etwas zu erhalten und wie kann dieses alte Wissen und Können heute umgesetzt werden.
Techno-Crafts streben die ideale Verbindung mit zukunftsorientierten Technologien und dem, was einst allein die menschliche Hand leistete, an. Aus natürlichen Rohstoffen werden moderne Fasern gewonnen, Druckfarben hergestellt und neue Alltagsartikel entwickelt. Eigene Institute schießen aus dem Boden, um nachhaltige Wege zu öffnen, statt durch Probleme verschüttete Einbahnstraßen wieder begehbar zu machen.
Auch im sozialen Bereich wird auf Crafts gesetzt. Handwerk dient als Verbindung zwischen Menschen und Kulturen. Hier trifft man sich nicht nur regional, sondern global. Priorität hat jedoch bei den Social Crafts oder Crafting Connections, wie solche Gemeinschaften nun genannt werden, dass Eigenarten und eben die Kultur der jeweiligen Kunstschaffenden erhalten bleiben. Das alte Indianerprinzip, dass jeder zur Gemeinschaft beiträgt, was er am besten kann, ist auch hier zu spüren.
Ergänzt werden das alte Wissen, die Traditionen und die gelebte Kultur durch moderne Möglichkeiten. Arbeits- und Produktionskollektive fördern sich gegenseitig. Dank Internet spielen Entfernungen dabei längst keine Rolle mehr. Der Wissenstransfer erfolgt digital, wie auch das Zurückgreifen auf fast schon vergessene Handwerkstechniken, auf Herstellung von Farben, das Aussuchen von Material wie Holz durch Digitalisierung sehr viel einfacher als noch vor hundert Jahren ist.
Neu aus der alten Natur
Nicht nur die nachhaltige Lebensweise an sich, auch die veganen Ziele sind es, die beim Arts and Crafts Movement für Veränderungen sorgen. Statt Kleidung aus Seide sind Stoffe aus Birkenfasern oder Pilzen auf dem Markt. Architekten beziehen in ihre Planung Baustoffe ein, die recycelt sind oder auf innovative Weise gewonnen wurden. Künstler formen ihre Skulpturen aus Abfallmaterial, statt Gips, dessen Abbau endlich ist, wird Alginat als nachwachsender Rohstoff verwendet.
Auch in der Verbindung von Kunst und Handwerk profitiert einer vom anderen. Was eben zum Bauen taugt wie Mycelium, welches, wie der Name bereits sagt, aus dem Myzel von Pilzen gewonnen wird, lässt sich auch bildhauerisch verarbeiten. Vor allem die Modebranche nimmt Arts and Crafts überaus ernst.
Textilien aus Baumwolle haben ihren Ursprung nicht mehr ausschließlich auf den Baumwollfeldern in Afrika, sondern werden mit Altpapier und textilen Abfällen aufbereitet. Gefärbt wird mit Drucktechniken, die den künstlerischen und nachhaltigen Anspruch gleichermaßen erfüllen. Auch Leder wird aus Pilzen gemacht. Es überzeugt durch überaus gute Trageeigenschaften und erfüllt den veganen Anspruch.
Umschneidern von alten Textilien ist ebenfalls mehr als ein Modetrend. Hier entsteht Neues aus dem, was einst nur noch als Putzlumpen taugte. Dabei war auch diese Wiederverwertung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus gebräuchlich. Das überlieferte Können, als einem alten Kostüm eine Kinderhose zu nähen, fiel dem schnellen Einkauf von zunehmend preisgünstiger Ware zum Opfer.
Dass diese Massenware weder lange haltbar noch besonders schön war, trägt vielleicht mit dazu bei, dass innovative Modelabels und nachhaltig arbeitende Designer sich Gedanken über das Material, den Schnitt und die Farbe machen. Wie bei den Repair-Cafés für Haushaltsgeräte auch, sind zudem Second-Hand-Börsen für Kleidung beliebt. Hier kauft man ein, lässt beim Schneider umarbeiten und so mancher entwickelt dabei innovative Ideen, wie Pads und Stickereien und kreiert so ein vollkommen neues Stück.
Selbst Unternehmer steigen mit Erfolg auf diesen Zug auf. Sie kaufen auf, arbeiten und werden ihrem eigenen hohen Anspruch in Sachen Nachhaltigkeit, aber auch dem Erhalt von Traditionen voll und ganz gerecht. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend fortsetzt, und dabei Unternehmen und Kunden, Umwelt und Ressourcen gleichermaßen dient.