Wie Souly trotz höchster Unkonventionalität an die Spitze der Charts gekommen ist

Seine Musik gestaltet Souly bewusst ungreifbar, trotzdem ist er mit seinem neuen Album „traence“ auf Platz 1 der deutschen Charts gelandet. Wie gehen Nonkonformität und Mainstream-Erfolg zusammen?
Vom Untergrund in die Charts: diese von Fans wie Kritiker:innen gleichermaßen geliebte From-Zero-to-Hero-Story ist so alt wie kommerzielle Musik selber. Und in den allermeisten Fällen nähern sich die Protagonist:innen dem Mainstream – und damit den hohen Chartpositionen – eher an, als dass sie aktiv dagegen steuern. Im Fall von Souly verhält sich das ein wenig anders.
Es ist noch nicht lange her, dass der Rapper aus dem Münsterland wie zigtausende andere aufstrebende Musiker:innen im Dauerfeuer Songs über die einschlägigen Kanäle veröffentlicht hat, in der Hoffnung, dass sich sein Name und seine Musik in diesem Endlosstrudel aus freitäglichen Neuerscheinungen ab- und festsetzt. Über den Verlauf der Pandemie hat das Luca Politano, wie der Deutsch-Italiener bürgerlich heißt, tatsächlich geschafft und seinen Namen immer tiefer in den Deutschrap-Eisberg eingeritzt. Dass er es ein paar Jahre später tatsächlich auf den Thron schaffen würde, das war anfangs noch undenkbar.
Immer ein bisschen über dem Strich
Denn schon während seines frühen Werdegangs stand Souly immer ein wenig neben dem, was als en vogue in der Szene galt. Natürlich dominieren auch in seinen Instrumentals eine Vielzahl an Trapelementen. und auch die Themen sind nichts, was man nicht schon mal gehört hätte. Doch während der Zeitgeist nach playlistmaßgeschneidertem HipHop schrie und am liebsten betont unangepasste Großstadtjungs mit unbeschwertem Spätisound pushen wollte, hat Politano seinen Sound bewusst unorthodox gehalten. Dachte man, mit dem Sound der ersten Singles sowie den „Teufel fallen/Engel fliegen“ EPs aus 2021 und 2022 hätte man seinen sphärisch-getragenen Stil in etwa nachvollzogen, wurden wir alle mit seinem Debütalbum „Ich wünschte, es würd‘ mich kümmern“ aus 2023 schnell eines Besseren belehrt.
„Ein ganzes Album machen war schon immer mein Traum/Zum Glück wusste ich am Anfang nicht, was das bedeutet, ich hätt‘ mich nicht getraut“ resümiert Souly auf „Schweden“, dem Outro der Debüt-LP, und fasst in zwei Zeilen seinen Anspruch an die Kunst zusammen. Alles ist groß gedacht, alles hat Konzept, alles kann schnell über den Kopf wachsen. Trotz der so nachdrücklich betonten Laissez-faire-Haltung des Albumtitels. Wie maßgeschneidert dieses Debüt gewesen ist, beweisen nicht nur ausverkaufte Touren, heillos überfüllte Festivalauftritte und Co-Signs von OG Keemo oder den großen deutschen HipHop-Medien, sondern auch eine Unplugged-Version des Albums auf YouTube. Die Session in Ergüns Fischbude stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass der frühere Chorsänger und Rockband-Gitarrenspieler seinen polierten Trap nahtlos in funkig-jazzige Klänge überführen kann.
Stillstand ist Rückschritt
In den nun sechs Jahre, die der 28-Jährige mittlerweile offiziell Musik releast, hat Souly aber vor allem eines bewiesen: Jedes Jahr klingt er anders – und hat dabei trotzdem einen Trademark-Sound gefunden, der sich vor allem über zwei Sachen definiert. Seine beinahe wehleidige, immer ein wenig von Effekten umwehte Stimme ist unter Tausenden wiedererkennbar, während sie als ein weiteres Instrument in den Soundteppich eingewebt wird, für den von Beginn an weitestgehend die Producer waterboutus und Stoopid Lou zuständig sind, die wieder und wieder die getragenene Synths, Pianos und schnellen Hi-Hats wellenförmig anrollen lassen und damit durch alle Äras hinweg den großflächigen Sound prägen.
Doch drumherum ändert sich im Prinzip alles. Hatte man sich gerade auf die düstere, undurchdringbare Atmosphäre von den ersten Singles und EPs eingelassen, so wurde auf dem Debütalbum mit einem Mal alles etwas einladender und transparenter. Klarere, unverkopfte Sätze treffen auf die geldscheinverhangenen und reicheren Visuals der 2023er-Ära, die ein stolzeres Bild des aufstrebenden Rappers zeichnen. Diesen Zustand weitet Souly auf dem kurz darauf folgenden Anschlusstape „Bossbaby“ inkl. der viralen Single „Bundeswehr“ sogar noch aus, doch wer jetzt denkt, dieses Von-Oben-Herab-Image wird zwecks auf der Hand liegendem Erfolg endlos fortgeführt, liegt abermals falsch. Mit düstertief gepitchten Vocals, die über die Snares peitschen, gibt der Wahlberliner ein erstes Vorzeichen auf die Ära, die nun folgen und erneut einen Wendepunkt in Sound und Ästhetik markieren sollte.
Das Bekannte im Unbekannten
Denn für das mittlerweile heiß erwartete und von der Pike an hochgehypte zweite Album wandert Souly wieder vom eingeschlagenen Pfad ab. „traence“, so soll der Zweitling nun also heißt, lässt Souly seine Fans über Festivalshows und Social-Media-Hinweise wissen. Die Visuals verwandeln sich Stück für Stück von Schwarz-Grün in ein dreckiges Grauweiß, das sich über brutalistische Konstruktionen zieht und sich wie ein Schleier über alles legt. Und nicht nur die Ästhetik hat sich verschoben, auch im Sound zieht der Rapper grundsätzlich andere Saiten auf. Betont abstrakt gehaltene Lyrics durchbrechen die hypnotisierenden Instrumentals und verschwimmen zu einem mitreißenden Fluss. Wo auf dem Vorgängeralbum noch klare Themenfelder wie (vergebliche) Liebe, Komplikationen und vor allem Geld zu erkennen waren, wartet jetzt ein maximal lose gehaltenes Konstrukt aus Satzfetzen, unvollendeten Gedankengängen und Referenzen zum Selber-Zusammen-Bauen.
Doch bei aller Innovation geht der Blick auch gerne in Richtung Altbekanntem. Und das ist vermutlich kein schlechter Schachzug, um der Zuhörerschaft zumindest ab und an das Gefühl von Vertrautheit zu geben, anstatt sie immer wieder neu zu überladen – Menschen lieben nun mal Nostalgie und Dinge, die sie wieder erkennen. „Triff mich halben Weg“ verbaut den 2000er-Black-Eyed-Peas-Hit „Meet me halfway“, „Maske weg“ grüßt mit offensichtlichem Fingerzeig in Richtung Atlanta-Rapper Future, sein 1997er-Jahrgang zeigt sich mit Bushido-Referenzen quer durch das Album verteilt und so setzt sich inmitten dieser so frei gehaltenen Spielfläche langsam ein Melting Pot aus Neu und Alt zusammen.
Der Weg nach ganz oben
Souly hat es geschafft: Trotz seiner Antihaltung gegenüber dem Bewährtem sind die Touren immer größer geworden, die Featuregäste sind von Edo Saiya und NUGAT zu Trettmann und OG Keemo avanciert und seine Visionen scheinen kein Ende zu kennen. Das ist riskant, aber nicht nur Fans der ersten Stunde begleiten ihn auf diesem Weg. Spätestens jetzt, wo der Name seines zweiten Albums „traence“ mit einem Mal in einen Chart-Award eingraviert ist, ist die Rechnung des Nicht-Verbiegens vollends aufgegangen – was die nächsten Releases nur umso spannender werden lässt, wenn Mut zur Unkonventionalität so belohnt werden.
Hört euch „Kann nicht warten“ aus dem Album „traence“ hier an: