Wiglaf Droste
Wann schreibt der Mann bloß all seine Glossen, Poeme und Polemiken? Denn Wiglaf Droste ist fast pausenlos unterwegs – lesend, musizierend. Natürlich auch mit den Gedichten und Liedern seines neuesten Werks „Das große Ich und Du“.
citymag: Herr Droste, die „Ich-AG“ wird zur „Ich-und-Du-AG“. Sagt das Arbeitsamt Montabaur im Internet.
Wiglaf Droste: Sagt es das? Ein euphemistischer Schwindel wird nicht weniger ein Schwindel, indem man ihn verdoppelt.
citymag: Sie klingen auf Ihrer aktuellen CD bis auf wenige Ausnahmen ungewöhnlich versöhnlich. Wird der reife Droste weich?
Droste: Es wäre schön, wenn meine Einschätzung des Elftenseptember als Geburtsstunde der bemannten fliegenden Architekturkritik so wahrgenommen würde: als weich und versöhnlich. Dann wäre die öffentliche Wahrnehmung klüger und weniger hysterisch. Falls Ihre Frage auf die Liebesgedichte zielt: Die sind nicht weich und versöhnlich, sondern im Gegenteil leidenschaftlich, zart und tief. Liebe ist ja alles andere als harmlos.
citymag: Lange Zeit waren Sie ausschließlich als Satiriker, Polemiker und Schmäher bekannt. Man empfand Sie oft als scharfsinnig und wenig warmherzig. Hat man Sie einseitig wahrgenommen?
Droste: Es hat bei aller Polemik, von der ich mich ja auch jetzt überhaupt nicht verabschiedet habe, von Anfang an auch ganz andere Tonfälle gegeben als den der harten Pointe: ausgelassen alberne, hymnische, anrührende, die ganze Bandbreite, und die habe ich weiterentwickelt. Es ist doch gut, wenn man jeden Gegenstand angemessen beschreiben kann. Das vielbeschworene Florett taugt nichts bei einer Schießerei, und umgekehrt muss man nicht immer den dicken Mottek auspacken. Ein entspannter Ton und zarte Nadelstiche piesacken oft viel wirkungsvoller – aber eben auch nicht immer, das muss jedesmal im Einzelfall entschieden werden. Alles andere ist langweilig, Masche, stumpf. Auch eine harsche Polemik hat ja viel Liebevolles – allein wegen der Mühe, die man sich mit Belästigungen wie Günter Grass, Donna Leon, Tim Renner oder Guido Westerwelle macht. Da liest und studiert man deren Zeug, das ist harte Qualarbeit. Was aber die öffentliche Wahrnehmung angeht: Wer darauf hofft, in der Öffentlichkeit komplex und differenziert beschreiben zu werden, verschwendet seinen Atem.
citymag: Auf mich wirken Sie verlegen, wenn Sie auf der Bühne singen. Was fühlen Sie dabei?
Droste: Verlegenheit und Schüchternheit sind etwas Gutes; natürliches Schamgefühl mag selten geworden sein, ist aber unverzichtbar, sonst geht es ruckzuck in den öffentlichen Schwachsinn – die Beispiele dafür sind Legion. Singen ist sehr privat, intim, eine Stimme lügt nicht, da entblößt man sich. Ich bin kein Exhibitionist, deshalb ist dieses gewisse Zögern spürbar, mich preiszugeben. Erst wenn ich den öffentlichen Rahmen vergessen oder verdrängt habe, kann ich mich so hingeben, wie Singen das verlangt.
citymag: Was bedeutet das Schreiben für Sie, was das Singen?
Droste: Schreiben ist Weltdurchdringung, Singen ist Religion. Beim Schreiben zerfällt die Welt in ihre einzelnen Teile, im Gesang wird alles eins.
citymag: Was bräuchten Sie auf einer einsamen Insel mehr: eine gut ausgestattete Bibliothek oder eine Küche mit allem drum und dran?
Droste: Ich hoffe zuversichtlich, niemals auf einer einsamen Insel zu stranden. Und jemanden vor die Wahl zwischen zwei unverzichtbaren Lebensmitteln zu stellen, ist grausam. In Zeiten umgreifender geistiger Reduktion wird einem immerzu gesagt, man müsse auf Lebensnotwendiges verzichten, den Gürtel enger schnallen, bis man sich mit dem Plunder zufriedengibt, den der Konsumismus einem hinhält. Das Gegenteil ist der Fall: Wir schnallen den Gürtel weiter!
citymag: Sie sind auf Bewährung verurteilt, veröffentlichen aber schon wieder ein Gedicht über die Bundeswehr. Sichern Sie sich juristisch ab?
Droste: Das Gedicht, auf das Sie anspielen, „Sind Soldaten Faxgeräte?“, ist schön älter, es stand im Zeit magazin, in der taz, in der Jungen Welt und wurde sonstwo nachgedruckt. Es gab empörte Briefe von Bundeswehroffizieren, aber kein juristisches Nachspiel. Das weiß man vorher allerdings nie. Juristische Absicherung interessiert mich nicht, das ist für Feiglinge und Simulanten. Man kann doch nicht jemanden ärgern und herausfordern und dann sagen: Ätsch, ich bin aber versichert. Ohne echtes Risiko gibt es keinen echten Kitzel.
citymag: Eckhard Henscheid verweigert jeglichen Literaturpreis. Welchen Stellenwert haben Literaturpreise für Sie?
Droste: Ich habe ja noch keinen bekommen und habe das auch nicht zu befürchten. Der Ben-Witter-Preis ist kein Literaturpreis, er wird vergeben für Zeitungskunst, also an Leute, die weder zum Literaturbetrieb noch zum Journalismus gehören, sondern an den Schnittstellen zwischen Literatur und Journalismus operieren. Ich hatte da keine unwürdigen Vorgänger. Beim Büchnerpreis, den der Schreihals Biermann und der Windbeutel Grünbein bekamen, wäre das schon ganz anders.
Interview: Jürgen Wittner