Wilco: Ode to Joy
Es ist leicht, sich bei Konsensbands wie Wilco auf Antworten zu verlassen. Mit „Ode to Joy“ zeigen sie stattdessen, dass sie auch ratlos sind.
Kaum eine Band ist so sympathisch wie Wilco. Radiohead vielleicht noch, und ansonsten sieht es an der Front der Konsensbands dünn aus. Und gerade diesen Bands ist ihr Konsensbandstatus scheinbar egaler als allen anderen – ein zweischneidiges Schwert: Wilco machen zwar immer das, worauf sie Lust haben, was guten Alben zumindest zuträglich ist, verspüren aber keinerlei Druck, wirklich radikale Schritte zu gehen. Ein neues Wilco-Album ist deswegen immer sehr komfortabel. Was auf einen zukommt ist in etwa so gewiss, wie dass man es für gut befinden wird. Es lässt sich sehr gut in ihre Musik fliehen, wenn alles zu viel wird – nicht umsonst haben sie einen ihrer Songs genau diesem Thema gewidmet.
Wilco: Musikalische Komfortzone?
„Ode to Joy“ könnte also kaum zu einer besseren Zeit kommen, denn beschissener sah es um die Weltpolitik – zumindest gefühlt – schon lange nicht mehr aus. Aber der Titel hat einen doppelten Boden, wie so vieles bei Wilco. Niemand wird Affirmation von der Band erwarten, die das nationale Trauma des 11. September scheinbar schon vorausgesehen hat, bevor es geschehen ist – und für plumpe Antworten sind Wilco zu schlau. Aber vielleicht bietet „Ode to Joy“ Katharsis, eine Anklage, einen Zugang?
Nein. Stattdessen wirken Wilco so spröde, müde und ratlos wie schon lange nicht mehr – und das macht „Ode to Joy“ zum besten Wilco-Album mindestens seit „Sky blue Sky“, wenn nicht sogar „Yankee Hotel Foxtrot“. „The Whole Love“, „Star Wars“, „Schmilco“, alle Wilco-Alben jüngeren Datums wirkten in sich schlüssig, zielgerichtet, entschlossen, doch waren sie nicht ansatzweise so berührend wie diese Songs, auf denen Jeff Tweedy wie gelähmt scheint. „Us in a Car / Arguing I’d forgive / But I always forget / Which Side I’m on“ heißt es gleich zu Beginn in „Bright Leaves“.
„Ode to Joy“ steckt voller Widersprüche
Dieses Gefühl der Lähmung machen Wilco auf „Ode to Joy“ zur Waffe, indem sie sich klanglich in die verschiedensten Richtungen wenden, und das mitunter in ein und demselben Song. Jeff Tweedys zögerlicher Tenor, der nie brüchiger klang als hier, wird mit roh stampfender Percussion konterkariert; Nels Clines federleichte Gitarrenpassagen tanzen über Störgeräusche und Drones hinweg. Aus den Widersprüchen entsteht das plastische Gefühl von Ausweglosigkeit, das diese sehr intimen Songskizzen zu einer ebenso politischen wie persönlichen Bestandsaufnahme werden lässt. Wie „Before Us“, das Tweedys Sorge um die Zukunft seiner Kinder und Globalpolitik zusammenbringt: „I’m surprised staring at the Knives / Lying silent in the Drawer / I hear the front Door ring in my Guitar / Empty up against the Wall (…) Remember when Wars would end? / Now when something’s dead / We try to kill it again.“
Wilco sind nicht hier, um zu trösten. Zum ersten Mal wirken sie so, als ob sie selbst um Fassung ringen müssen. Sie können auch nicht erklären, was gerade passiert oder was zu tun ist. Aber mit „Ode to Joy“ tun sie als Konsensband das einzig Richtige: Sie lassen keinen Konsens zu, warten nicht, bis sie eine Lösung haben. Stattdessen teilen sie die ersten, zweifelnden Schritte auf dem Weg aus der Starre.
„Ode to Joy“ erscheint heute auf dBpm Records. Das Album könnt ihr auf Amazon kaufen.