Anja Huwe: Xmal-Deutschland-Frontsängerin taucht nach 35 Jahren wieder auf

In den 80er-Jahren spielte Xmal Deutschland in Englands größten Hallen, am 9. 5.25 erscheinen mit „Gift: The 4AD Years“ die ersten beiden Alben wieder neu. Anja Huwe zu Anrufen aus Tel Aviv und ihrem ersten Soloalbum.
Anja, früher warst du Teil der Postpunkband Xmal Deutschland, wie viel Mal Deutschland ist denn genug?
Anja Huwe: Das ist ein Buchtitel von Wolfgang Leonhardt, den hatten alle Eltern im Schrank. Damals hat man sich eben Namen gegeben wie Deutsch Amerikanische Freundschaft, Modern English, oder wie diese ganzen Bands noch so heißen. Dieses Deutschland interessiert mich nicht die Bohne. Wir waren alle eher Links als alles andere. In der Zeit sowieso, das war ja eine Anti-Haltung.
Punk ist noch dazu anti-kommerziell und anti-bürgerlich. Würdest du deine Geisteshaltung von damals auch so beschreiben?
Huwe: Durchaus. Aber die Philosophie von Punk war vor allem auch „Jeder kann alles“. Das war für viele wie so ein Coming-out. Damals war alles viel konservativer als heute. Die Menschen sollten einfach den vorgeschriebenen Weg leben: Abitur, Studium, Familie – und dann ein Haus. Die Punkszene wollte dieses System sprengen. Nach ihr konntest du im Grunde machen, worauf du Lust hast. Du konntest dir die Ärmel und Haare abschneiden, sie bunt färben, wenn du die Farbe finden konntest, und Musik machen, ohne es eigentlich zu können. Weder ich noch der Rest meiner Band konnten singen oder ein Instrument spielen. Und schau, wo es uns hingebracht hat.
Bist du denn heute noch die Punkerin aus den 80er-Jahren?
Huwe: Überhaupt nicht. Aber meine Art zu Leben ist noch die gleiche. Heute wie damals ruhe ich mich nicht aus, sondern suche immer nach neuen Sachen, die mich reizen. Und ich werde immer wieder fündig! Ich verfolge verschiedenste Kunstprojekte, war mal Redaktionsleitung der Techno-Sendung „Housefrau“ bei Viva, wofür ich weltweit auf die geilsten Raves gegangen bin, und in den letzten Jahren habe ich wieder vermehrt Musik gemacht.
Wieso hat sich Xmal Deutschland aufgelöst?
Huwe: Wenn du sieben Jahre immer mit den gleichen Leuten zusammen bist, fühlt sich das irgendwann an wie in einer Beziehung. Da muss sich dann mal jemand zwischenschalten und sagen: Passt mal auf Leute, das hier ist auch ein Job an dem eine Menge Leute mit dranhängen. Ihr könnt jetzt nicht einfach sagen: „Ich hab grad kein Bock“. Zeitgleich ist der Druck der Plattenlabels gestiegen. Ich sei doch die Frontsängerin, sollte also mal eine Solokarriere starten. All das führte zu enorm viel Konflikt unter uns, der leider irgendwann nicht mehr lösbar war. Schließlich hatten wir auch kein Management. Wir haben nie auf irgendjemanden gehört. Und am Ende hat es halt geknallt.
Seitdem ist Xmal Deutschland zu einer Kultband in der Goth-Szene geworden.
Huwe: Aus heutiger Sicht wirkt die Band viel größer, als sie es eigentlich war. Durch unser plötzliches Verschwinden hat sich unser Kultstatus über die Jahre immer mehr hochgeschraubt. Und jetzt sind wir auf einmal wieder da und ich konnte diese tolle Live-Show letzten März beim Grauzone Festival geben.
Hast du die Fans denn nie vermisst?
Huwe: Im Gegenteil: Ich fand die Aufmerksamkeit anstrengend. Die Leute wollten ständig was von mir. Dieses Anzapfen – da bin ich eher scheu. Ich habe mich damals außerdem bewusst gegen eine Solokarriere entschieden und bin ausgestiegen. Ich wusste ganz genau, was der Preis für sowas sein kann. Wenn du jeden Abend vor tausenden von Leuten stehst, jeden Abend gesagt bekommst, wie toll du bist, nur, um dann wieder ganz alleine in deinem Zimmer zu sitzen. Das macht was mit deinem Ego. Als Nächstes greift man dann zu Alkohol und Drogen. Und das zieht man dann immer weiter durch, weil man nicht loslassen kann. Oder, und das muss man leider auch sagen, weil man gar nichts anderes mehr hat.
Mit deinem letzten Album „Codes“ hast du 2024 nach 35 Jahren Pause doch ein Soloalbum veröffentlicht. Wie ist es dazu gekommen?
Huwe: Für „Codes“ habe ich intensiv an Text und Sound gearbeitet. Es fing alles mit einer Anfrage von Metalsänger Yishai Sweartz aus Tel Aviv an, ob ich nicht Lust hätte, auf einen Song zu singen: „Skuggornas“, der erste Track des Albums. Ich interessierte mich für seine Herkunft, woraufhin er mir von seinem Großvater erzählte, der zusammen mit andren Jüd:innen im Zweiten Weltkrieg in die belarussischen Wälder geflüchtet ist. Diese Geschichte hat mich wahnsinnig gefesselt. Wie ist das, wenn du in so einem dunklen Wald mehrere Winter überstehen musst? Die haben dort Kinder bekommen. Ein Teil wurde zu Partisanen, das waren richtig harte Jungs.
Hat dich die Geschichte vielleicht auch wegen der Kriege in Gaza und der Ukraine so gepackt?
Huwe: Während Yishai uns die Geschichte seines Großvaters übers Telefon erzählt hat, wurde Tel Aviv gerade bombardiert, und bei uns vor der Haustür in Neukölln demonstrierten die Araber. Und als wir fertig waren mit dem Album, begann der Ukrainekrieg, gefolgt von Gaza. Wir waren völlig perplex – wie kann das jetzt sein? Es war eine extrem intensive Zeit. Der erste Auslöser für das Album kam aber noch vor diesen Kriegen. Dass sich das alles unmittelbar, nachdem wir mit dem Album angefangen haben, in der echten Welt entfaltet hatte, war reiner Zufall. Aber, das ist ja das erschreckende – als hätten wir es geahnt.
Am Weltfrauentag wurde erneut vermehrt auf die Hürden für Frauen in der Musikbranche aufmerksam gemacht. Wie hast du damals die Musikindustrie erlebt?
Huwe: Als wir mit den Stranglers auf Tour waren, drehten die Sound-Crews in den großen Hallen oft gnadenlos die Lautstärke runter, sobald wir auf die Bühne kamen. Unsere Gitarristin Manuela Rickers ging dann zu ihnen hin und stellte klar, dass sie die Regler gefälligst wieder aufdrehen sollten – und plötzlich herrschte Ruhe. Ein anderes Beispiel: Die Crews, mit denen wir dort gearbeitet haben, sprachen oft Cockney und hatten diesen speziellen englischen Humor. Um den zu begreifen, musste ich also Cockney lernen. Das tat ich dann auch und begann ihnen in ihrer eigenen Sprachen Kontra geben. Danach waren sie ruhig. Das ist ein Muster, welches sich durchs Leben zeiht. Nach Xmal Deutschland musste ich etwa immer wieder feststellen, dass meine männlichen Kollegen teils ein Drittel mehr verdient haben als ich. Aber ich lasse mir die Wurst nicht vom Brot nehmen. Wenn man irgendwo hinkommt und ein Typ plötzlich breitbeinig und gönnerhaft dasitzt, ist das einfach männlicher Habitus. Meiner Meinung nach sollte man sich aber nicht immer nur darüber beschweren, sondern auch dagegenhalten. Einfach nur zu jammern, wir hätten es ja so schwer, bringt nichts. Mach den Leuten auch klar, dass es so nicht geht.