Zischen und Zahnräder: Daniel Averys „Tremor“
Mit radikalem Wandel gelingt dem britischen Produzent und DJ Daniel Avery eine spektakuläre Albumdramaturgie – und das verdankt er nicht zuletzt seiner prominenten Gästeliste.
Mit feiner Präzision errichtet Daniel Avery auf seiner neuen Platte „Tremor“ Klangräume, in denen jedes Lied eine eigene Welt öffnet. Hinter jedem Beat wartet die nächste Überraschung. Bevor Avery die Klubszene erobert hat, war seine Welt von Shoegaze, Drone und Gitarrenriffs geprägt. Erst Londons Nächte haben ihn zur Elektronik und an die Maschinen gebracht. Mit „Tremor“ beginnt nun das nächste Kapitel, welches sich anfühlt wie der Höhepunkt all seiner bisherigen Welten: Euphorischer Shoegaze, versunkener Ambient-Elektro, Rock und Industrial fließen ineinander, als hätte jemand die Dämme zwischen den Genres eingerissen.
Für das Album hat Avery ein beeindruckendes Ensemble eingeladen: Alison Mosshart (The Kills), yeule, Art School Girlfriend und viele mehr bilden ein Kollektiv aus Freund:innen und ganz unterschiedlichen Einflüssen. Jede dieser Stimmen bringt unverstellt ihre eigene Farbe mit, und trotzdem schafft Avery, dass alles unverkennbar nach ihm klingt. Er baut keine Songs für seine Gäste, sondern produziert authentisch um sie herum. So wird „Tremor“ zu einem gemeinschaftlichen Organismus und einem Statement für künstlerische Verbundenheit.
„Disturb me“ mit yeule könnte der Soundtrack eines Science-Fiction-Films sein, voller Ambient-Schichten und Dissonanzen. „Haze“ mit Ellie zieht das Tempo an. Gitarrenriffs, Postpunk-Sound und plötzlich Metal-Anleihen sorgen erst für Verwirrung und dann für die Erkenntnis, dass auf diesem Album nun alles möglich ist. „Greasy off the Racing Line” mit Alison Mosshart sticht besonders heraus, mit mysteriösen Beats und zischendem Gesang – ein Highlight und Wendepunkt. Avery nennt den Song „das ölgetränkte Zahnrad des Albums“. Gegen Ende wird es stiller: Instrumentalstücke wirken wie Reflexionsräume und Atempausen nach all dem Lärm. Auf „Feel you“ mit Art School Girlfriend bilden House-Beats den perfekten Abschluss. „I saw it come alive“ – die Wiederholung dieser Textzeile klingt wie das Fazit, dass dieses Werk lebt.
Überall auf „Tremor“ explodieren Beats und verschmelzen Melodien. Kaum ein Song endet, ohne nahtlos in den nächsten überzugehen. Daniel Avery schafft es, all diese unterschiedlichen Klangwelten in ein Ganzes zu verwandeln. Das Album sollte am besten am Stück gehört werden: keine Playlist, kein Shuffle. Weil „Tremor“ alles von Ekstase bis Stille erlaubt, bleibt es lebendig und setzt einen neuen Meilenstein in Daniel Averys Karriere.