„A House of Dynamite“: Das düstere Meisterwerk der Kathryn Bigelow

Existentiell spannend und nervenzerfetzend bis zur letzten Minute: Der Polithriller „A House of Dynamite“ um einen beginnenden Atomkrieg von Kathryn Bigelow läuft im Kino.
Plötzlich fliegt eine atomare Langstreckenrakete aus dem Pazifik auf die USA zu: Wie reagiert die Weltmacht? Regisseurin Kathryn Bigelow arbeitet sich in Etappen innerhalb einer halben Stunde Echtzeit von außen in den Kern der Macht vor und zeigt genau nach Protokoll, wie die Instanzen reagieren. Was wir sehen, ist erschreckend. „A House of Dynamite“ läuft in den Kinos.
Kathryn Bigelow („Zero Dark Thirty“, „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“) ist für ihre minutiös genauen Filme bekannt, die trotz – oder gerade wegen? – ihrer Genauigkeit einen Sog entwickeln, dem man sich nicht entziehen kann, selbst wenn man das nur zu gerne möchte. Während zum Beispiel ihr Film „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ von 2008 US-Bombenentschärfern bei ihrer körperlich extrem anstrengenden Arbeit im Irak zuschaut und man schon bald mitzuschwitzen glaubt, geht ihr neuer Thriller „A House of Dynamite“ einen ganz anderen und doch sehr ähnlichen Weg: Der Film schaut dem US-Militär, den Geheimdiensten und der US-Regierung bei der Arbeit zu, als sich eine mit Atomsprengköpfen bestückten Langstreckenrakte dem amerikanischen Kontinent nähert und der Alarmzustand sich von Defcon 5 in Etappe bis zu Defcon 1 – das ist der Kriegszustand – verschärft. Kathryn Bigelow zeigt keine Heldinnen und Helden der US-Filmindustrie, das hat sie noch nie getan. Aber sie zeigt Menschen wie Captain Olivia Walker (Rebecca Ferguson, „Dune“, „Mission Impossible“), die ihre Routinen auswendig kennen, um dann irgendwann doch improvisieren müssen, denn die katastrophalste Ausnahme schlechthin ist erreicht, ein Moment, der sie trotz aller Ausbildung völlig unerfahren erwischt. Oder der Deputy National Security Advisor Jake Baerington (Gabriel Basso, „The Night Agent“, „Juror #2“), der verzweifelt versucht, zwischen der US-Regierung und der russichen Regierung ein Mindestmaß an Zurückhaltung zu vereinbaren, denn längst interpretiert Russland die sich verschärfenden Sicherheitsstufen in den USA als beginnende Aggression. Und dann ist da noch der US-Präsident (Idris Elba („Three Thousand Years of Longing“, „Hijack“), ein an Barack Obama erinnernder, besonnener und zurückhaltender Mensch, der plötzlich atomare Raketen starten soll, bevor ein Erstschlag die USA trifft. Neben diesen Stars ist „A House of Dynamite“ mit weiteren großen Namen besetzt – Jared Harris („Foundation“) als Verteidigungsminister, Tracy Letts („The Sinner“, „Lady Bird“) gibt General Anthony Brady, Sänger und Schauspieler Anthony Ramos („Hamilton“, „Transformers: Aufstieg der Bestien“) ist Major Daniel Gonzalez. Moses Ingram („Lady in the Lake“, „The End“) schließlich spielt die hochrangige Beamtin Cathy Rogers, die an der Evakuierung von Washinton DC in leitender Rolle beteiligt ist. Bigelow zeigt alle diese hochrangigen Menschen in immer verzweifelterer Situation und wie sie psychisch zu brechen beginnen. Eine unklare singuläre Aggression reicht aus, um alle Mechanismen der Sicherheitsprotokolle des US-Militärs außer Kraft zu setzen. Kathryn Bigelow verweist zu Beginn des Films auf die Tatsache, dass am Ende des Kalten Krieges die Zahl der Nuklearwaffen aller verfeindeter Nationen stark reduziert wurden, von einem solchen Abkommen heute aber schlicht überhaupt nichts mehr vorhanden ist – im Gegenteil. „A House of Dynamite“ will zeigen, wie nah die Welt hier und heute vor einem nuklearen Desaster steht. Der Film ist nach etwa 25 Minuten Handlungszeit, die er mehrmals an unterschiedlichen Schauplätzen ablaufen lässt, zu Ende. Mehr Zeit braucht es nicht bis zur Katastrophe oder deren Vermeidung. Kathryn Bigelow hat mit „A House of Dynamite“ (Drehbuch: Noah Oppenheim, „Jackie“) einen Endzeitthriller gedreht, der in seiner präzisen Genauigkeit ein wuchtiger Schlag in die Magengrube ist.