Afra Kane: Rohe Diamanten
Jazzsängerin Afra Kane beherrscht mühelos mehrere Sprachen und Genres. Doch für ihr zweites Album war ihr das lange nicht genug.
Afra, „Could we be whole“ geht eher ungewöhnlich los: Mit dem Track „Intro“, der eine Art Meta-Einführung darstellt.
Afra Kane: Es ist eine Vokalübung, die ich mir für meine Gesangsschüler:innen ausgedacht habe. Deshalb geht es auch immer mehr in die Höhe. Der Song direkt danach heißt „Warm up“, ursprünglich war „Intro“ Teil davon, bevor ich es abgetrennt habe. Ich fand, das es ein guter Anfang für das Album ist: Wärmen wir uns vor dem Album auf, wie man es vor einem Auftritt oder dem Sport macht! Musikalisch hat es Spaß gemacht, aus der Übung einen ganzen Song zu machen, ich wollte einen neuen Weg ausprobieren, zu komponieren. Letztlich ist es ziemlich herausfordernd geworden.
War es dir beim Machen des Albums wichtig, dich selbst herauszufordern?
Kane: Es war mir sehr wichtig! Ich wollte kreativer sein, weniger darüber nachdenken, wohin ich unterwegs bin, und einfach den Prozess genießen. Als ich Ende 2022 damit angefangen habe, war gerade mein erstes Album erschienen, ich hatte einen Vertrag bei Warner unterschrieben – und sie wollten ein neues Album in sechs Monaten! (lacht) Das war sehr anstrengend, aber ich wollte mich nicht einschränken, weder darin, worüber ich schreibe, noch in der Art, wie ich es tue. Zum Glück hat mir das Label komplette kreative Freiheit gelassen.
Sechs Monate kommt mir wie eine sehr kurze Zeit vor, vor allem im Vergleich zum Vorgänger.
Kane: Es waren drei Monate zum Schreiben und Arrangieren, und dann zwei Monate im Studio. Die Gitarren etwa sind erst während der Aufnahmen dazu gekommen. Bei meinem Debüt „Hypersensitive“ hatte ich die Songs schon zwei Jahre davor fertig gehabt, wir hatten sie schon im Konzert ausprobiert, bevor wir ins Studio gegangen sind. Dort haben wir dann nur acht Tage gebraucht, weil alle wussten, was sie machen müssen. Dieses Mal war es ganz anders. (lacht)
Du hast in Bezug auf „Could we be whole“ von einem Rohdiamanten gesprochen. Was genau meinst du damit?
Kane: Dabei ist er mir vor allem um den Willen zum Loslassen gegangen. Ich weiß, dass es eine bestimmte Ästhetik gibt, die den Leuten eher liegt. Aber ich musste mich auch weiterentwickeln. Nicht, dass es auf dem Album keine massentauglichen Stücke gibt – „Lift off“ ist zum Beispiel sehr zugänglich. Aber alle haben eine unterschwellige Komplexität für die Leute, die danach suchen.
Im Gegensatz zur Musik, die oft abstrakt und komplex ist, sind die Texte vergleichsweise leicht zu greifen. Wolltest du damit einen bewussten Ausgleich schaffen?
Kane: Das stimmt wohl. Mit den Texten bin ich in eine andere Richtung gegangen: spezifischer, direkter, eindeutiger. Ich schreibe Lyrics anders als Musik. Trotzdem gibt es Texte, über die ich nicht allzu lange nachgedacht habe. „Paranoia“ beispielsweise wiederholt immer wieder dieselben Phrasen, um wirklich ein Gefühl von Paranoia zu vermitteln. Als Songwriterin ist es mir wichtig, dass auch die Worte die Bedeutung des Songs vermitteln.
Du sprichst mehrere Sprachen, darunter Englisch, Französisch und Italienisch. Inwiefern hat das Einfluss auf die Art, wie du Songs schreibst?
Kane: Es hilft auf jeden Fall. In der klassischen Musik sprechen die meisten Leute mehr als eine Sprache, weil sie reisen und umziehen müssen, um es auf die besten Konservatorien zu schaffen. Und ich habe ja diesen Hintergrund. Aber auch familiär: Meine Eltern kommen aus Nigeria, wo viele verschiedene Sprachen gesprochen werden. Schon von klein auf habe ich mich daran gewöhnt, dass sie mit mir auf Italienisch, Englisch und Igbo gesprochen haben. Das hilft dabei, das Ohr zu entwickeln, und bringt einen mit einer größeren Breite an Klängen in Kontakt. Mir gibt es eine größere Freiheit, weil ich bestimmte Stile aufgreifen kann, ohne mich von ihnen entfremdet zu fühlen.
Zu deinem klassischen Hintergrund: Hat es dich Mühe gekostet, dich von diesem Mindset zu lösen und einen genreübergreifenden Begriff von Musik zu finden?
Kane: Das ist jetzt ziemlich persönlich, aber ich war immer eine Einserschülerin und wollte den Erwachsenen gefallen. In der klassischen Musik hast du eine sehr starke Beziehung zu deinen Klavierlehrer:innen, diese Mentorbeziehung, die schon Platon beschrieben hat. Als ich angefangen habe, in Coverbands zu singen, war das deshalb lange ein Geheimnis, von dem ich niemandem erzählt und wegen dem ich mich schlecht gefühlt habe. Bis heute verbindet mich eine Art Hassliebe mit der klassischen Musik. Es ist so anstrengend, du musst jeden Tag sechs Stunden üben, dein ganzes Leben dreht sich darum, du hast immer ein schlechtes Gewissen, weil du nicht genug übst. Beim Komponieren ist es anders, da geht es mehr darum, mich selbst auszubreiten und zu erweitern, als darum, in eine möglichst spezifische Box zu passen. Es ist eine komplett andere Welt.