Alles wird gut!?! Sydney Minsky Sargeant über sein Solodebüt „Lunga“

Als Mastermind vom Working Men’s Club ist er vor allem laut. Jetzt aber wagt der Brite Sydney Minsky Sargeant den radikalen Blick nach innen – und legt mit seinem Solodebüt mal eben ein ganz verletzliches Meisterwerk vor.
Syd, nach zwei Alben mit deiner Postpunkband Working Men’s Club veröffentlichst du nun ein sehr introvertiertes Solodebüt. Mit Streichern, akustischer Gitarre und atmosphärischen Synthsounds klingt „Lunga“ nach dem Abschluss eines Lebensabschnitts …
Sydney Minsky Sargeant: Es ist ganz klar das Ende einer bestimmten Phase, und zugleich baut dieses Album eine Brücke zu etwas Neuem. Da sind diese ganz alten Songs, die ich als Teenager geschrieben habe, und es gibt die Stücke, die dadurch getriggert wurden, dass ich diese alten Songs immer wieder gehört habe. Von einem Moment auf den anderen ist das Songschreiben extrem emotional geworden. „Lunga“ ist die Platte eines Teenagers, der plötzlich erwachsen wird. (lacht) Ich habe über all die Beziehungen nachgedacht, die mich nachhaltig beeinflusst haben, und ich wollte wissen, wo ich gerade in meinem Leben stehe. Gleichzeitig fühlt es sich so an, als ob sie von meinem gegenwärtigen Ich schon wieder sehr weit entfernt ist. Was nicht heißt, dass „Lunga“ nicht mehr diese große Bedeutung für mich hat, schließlich hat sie zum Ende der Aufnahmen zu einer Art Nervenzusammenbruch geführt.
Das überrascht, denn die Platte erzählt vom Verlust, von der Trauer und von Bewältigungsstrategien, mündet am Ende aber in den Song „Next Day“, der einen Neuanfang proklamiert.
Sargeant: Meine nächste Platte mit dem Working Men’s Club wird das ein bisschen widerrufen und dokumentieren, wie ich rückfällig werde. Die Erkenntnis ist: Du musst ein weiteres Mal erwachsen werden. Es hat sich total tiefschürfend angefühlt, als ich „Next Day“ geschrieben habe, aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich diesen Punkt noch gar nicht erreicht. „Lunga“ ist schon hoffnungsvoll, ich schließe da eine Tür mit dem Gefühl, dass es mir besser geht. Aber meine Musik soll keine Entschuldigungen formulieren, das muss ich schon im realen Leben bewerkstelligen.
Geht es denn vor allem um Vergebung?
Sargeant: Nimm den Song „Lisboa“, der eine sehr dunkle Zeit in meinem Leben aufgreift: Ich wurde in der Schule gemobbt, und jemand aus meiner Familie, der mir sehr viel bedeutet hat, ist weggezogen. Ich verzeihe den Typen, die mich damals drangsaliert haben, weil ich genau weiß, dass sie das nur getan haben, weil sie mit ihren eigenen Kämpfen zu tun gehabt haben. Aber genauso vergebe ich auch mir selbst: Der ausgegrenzte Junge hat später Sachen getan, auf die er nicht besonders stolz ist. Heute weiß ich, dass ein „Next Day“ auch bedeuten kann, alles einzustellen und einfach gar nichts zu tun. Nur wenn du den Burn-out vermeidest, kannst du für die Personen da sein, die dir wirklich etwas bedeuten.
Hast du Angst davor, mit „Lunga“ ganz ungeschützt auf die Bühne zu gehen?
Sargeant: Die Vorstellung fühlt sich nicht gut an. Aber klar, „Lunga“ ist eine unbequeme Platte, das muss schon so sein. Viel schlimmer waren da etwa die Supportshows für LCD Soundsystem, die wir vor kurzem mit Working Men’s Club gespielt haben. Wir haben nur Songs von unseren ersten beiden Alben gespielt, ganz isoliert vom musikalischen Jetzt. Das hat dann mit meinem gegenwärtigen Ich fast gar nichts mehr zu tun. „Lunga“ ist ein erster Schritt, mich verletzlich zu zeigen. Die nächste Platte mit dem Working Men’s Club wird das aufgreifen und weitererzählen.