Andreas Stichmann: Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk
Sein neuer Roman ist ein unendlicher Spaß, mit dem Andreas Stichmann dem Wohlfühlpessimismus seiner Autorenkollegen trotzt.
Einen Helden wie Sydney Seapunk muss man sich erstmal ausdenken. Eigentlich hört der 40-Jährige auf den bürgerlichen Namen David van Gehlen und ist ein Millionenerbe, doch während seinen Bruder nur interessiert, wie er die Gewinne des Familienunternehmens maximieren kann, hat David ein ganz anderes Projekt: Unter seinem Alias gründet er die Happy Seapunks, eine Bewegung, die für eine Welt kämpft, in der es keine Obdachlosen mehr gibt. So stellt Sydney Seapunk selbstgebastelte Collagen ins Netz, mit denen er die Umverteilung fordert. Er feilt an einer politischen Ästhetik, die so fruchtig rüberkommt, dass sie junge Menschen anspricht. Und schließlich sucht er eine alternative Hofgemeinschaft auf, die von frustrierten Altlinken geleitet wird, um ihnen einen Coup vorzuschlagen: Warum nicht seine Entführung vortäuschen, um vom Bruder vier Millionen Euro Lösegeld zu erpressen. Von der Beute könnte man schließlich auch den heruntergekommenen Sonnenhof als politisches Zentrum reaktivieren. Natürlich in einer zeitgemäßen Variante: Think Tank, Open Space und Open Source statt Arbeitskreise und Diskussionsrunden.
„Ich muss mich immer ein bisschen zurücknehmen, um noch mit einem Fuß im Realismus zu bleiben“, sagt Andreas Stichmann und lacht. Der 33-jährige Autor liebt es, seine völlig durchgeknallten, cartoonesken Geschichten genau so weit zu treiben, dass sie gerade noch einer gewissen Plausibilität folgen. Das war schon beim Erzählungsband „Jackie in Silber“ und dem für den Bachmannpreis nominierten Debütroman „Das große Leuchten“ der Fall, doch sein neues Buch hat zudem auch noch ein enormes Provokationspotential: Während die meisten seiner Kollegen den Trend zum apokalyptischen Roman befeuern, hält er mit einer fast schon übertrieben optimistischen Figur dagegen. Wobei er mit „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ nicht nur auf den Wohlfühlpessimismus der Literaturszene reagiert: „Die antikapitalistische Haltung ist ja relativ weit verbreitet. Auf die Bereitschaft, extrem negativ über allgemeine Entwicklungen zu sprechen, stößt man auch am Kiosk nebenan – nur fehlt dabei leider jegliche Energie, etwas dagegen zu unternehmen.“
Natürlich ist Sydney Seapunk ein ambivalenter Held. Sein Auftreten erinnert an amerikanische Motivationsgurus, die Bewohner des Sonnenhofs bringt er auf seine Seite, indem er ihnen fair gehandelte Tabletts bestellt, und generell macht er sich sehr viele Gedanken darüber, was für ein Lebensgefühl aus einer politischen Haltung entsteht. Trotzdem ist Seapunk für Stichmann aber ein Held, zu dem er inspiriert wurde, als er längere Zeit in einer selbstverwalteten Dorfgemeinschaft in Südafrika gelebt und gearbeitet hat. Und wer nach seinem kurzweiligen und entlarvenden Roman von der Energie angesteckt wurde, für den hat Stichmann auch einen Tipp zum Weiterlesen: „Ich habe mich in letzter Zeit sehr viel mit den angenehm ideologiefreien Veröffentlichungen aus dem Umfeld des Effektiven Altruismus beschäftigt. Da hat man beim Lesen durchaus aktivierende Gefühle.“
Carsten Schrader
Andreas Stichmann Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk
Rowohlt, 2017, 256 S., 19,95 Euro