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Anke Stelling: Bodentiefe Fenster

Das bessere Leben ist nicht leicht. Eigentlich unmöglich. Im Grunde die Hölle. Das bessere Leben ist: ein Wohnprojekt in Berlin-Wedding, klassen- und generationenübergreifend. Mit Spielplatz im Hof, offensivem Gemeinschaftssinn und, ganz wichtig, bodentiefen Fenstern. Selbstbestimmt. Emanzipatorisch. Und eindeutig das Falsche für Sandra. Die nämlich sieht sich bedrängt von den wohlmeinenden Mitbewohnern, die sieht das eine Kind auf dem eigenmächtig gegangenen Weg in die Kita überfahren und das andere vergewaltigt, und die versteht Bewohnerplenum wie gemeinsames Grillen vor allem als Kampfplätze, auf denen keine Positionen ausgetauscht, sondern Sieger ermittelt werden (und Sandra siegt, natürlich, nie). Was auf lange Sicht zu Depression, Burnout und Wahnsinn führen muss – Anke Stellings „Bodentiefe Fenster“ ist weniger Beschreibung einer echten linksalternativen Lebensrealität, sondern ziemlich spekulativer Psychohorror. Der einen freilich durchaus anfasst, so drastisch wie lustvoll der Zerfall der Protagonistin hier beschrieben ist. Was natürlich nichts daran ändert, dass man all das auch ganz anders sehen könnte: die Wohngemeinschaft nicht als stalinistisches Femegericht, das Gripstheater nicht als Gehirnwäsche und die Sehnsucht nach dem besseren Leben nicht als fatale Weltflucht. Stelling schreibt aus der Position einer Figur, die augenscheinlich psychische Probleme hat, das rettet „Bodentiefe Fenster“ vor der reinen Denunziation, einen grundsätzlich reaktionären Unterton kann sie ihrem Roman aber dennoch nicht austreiben. Der gleichzeitig aber, das muss man neidlos anerkennen, höllisch gut geschrieben ist.

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