Anohni: Hopelessness
Kein Mann mehr, aber mit noch mehr Mumm: Antony alias Anohni
Die Verwandlung
Ist Antony Hegarty als Frau milder gestimmt? Ganz im Gegenteil.
Antony Hegarty perfektioniert die Radikalisierung: Schon als der ehemalige Sänger von Antony & The Johnsons vor über einem Jahr erklärte, transgender zu sein und sich fortan Anohni zu nennen, zeichnete sich ein musikalischer Richtungswechsel ab.
Die Vorabsingle „4 Degrees“ war nicht nur ein aufrührerisches Statement zum Pariser Weltklimagipfel 2015. Die elektronische Hymne mit Kriegstrommeln und unheilverkündenden Hi-Tech-Fanfaren entpuppt sich jetzt auch als stimmige Visitenkarte des Anohni-Debüts.
Gemeinsam mit den Produzenten Oneothrix Point Never und Hudson Mohawke legt die Musikerin ein sehr zeitgemäßes und somit widerborstiges Elektronikalbum vor, das auch alten Kammerpopfans durch die vertraute Stimme und dem Festhalten an Songstrukturen genügend Haltegriffe bietet.
Doch während die letzten Veröffentlichungen von Antony & The Johnsons noch von esoterischer Naturmystik und einem abstrakten Loblied auf das Weibliche geprägt waren, bezieht sich Anohni jetzt ganz konkret auf die politische Lage.
Mit „Why did you separate me from the Earth?“ zeichnet sie ein dystopisches Psychogramm der konsumsüchtigen, umweltzerstörenden Menschheit. „Drone bomb me“ thematisiert die Todessehnsucht eines jungen Mädchens in Afghanistan, deren Familie im Krieg von US-Drohnen getötet wurde. Und „Obama“ bilanziert kompromisslos die Amtszeit des US-Präsidenten.
Anohni gelingt nicht nur sehr überzeugend eine musikalische Umorientierung. Sie beweist auch, dass die Zeiten unpeinlicher Protestsongs nicht vorbei sind. cs
(Das oben verklinkte Video zu „4 Degrees“ muss möglicherweise entsperrt werden, z. B. mit ProxTube)