Aron Dahl über „Moth/Flame“: Das kleine Geheimnis
Warum die experimentellen Countrysongs des queeren norwegischen Songwriters Aron Dahl zu den Höhepunkten des Musikjahres zählen? Er hat nach der Liebe an den vermeintlich falschen Orten gesucht.
Aron, vor sechs Jahren hast du dein erstes Album noch als Danielle Dahl veröffentlicht. Fühlt sich „Moth/Flame“ jetzt wie eine zweite Platte oder eher wie ein Debüt an?
Aron Dahl: Irgendwie trifft beides zu. Es sind beides Selbstporträts, aber in der Zwischenzeit ist natürlich sehr viel passiert. Auch das Debüt war eine Coming-out-Platte, es gibt thematisch sehr viele Überschneidungen, aber die Genres der beiden Platten sind ja komplett verschieden.
Du hast am neuen Album während deiner Transition gearbeitet. War es von Anfang an dein Ziel, dass die Platte die Veränderungen deiner Stimme dokumentiert?
Dahl: Ich wollte das unbedingt auf der Platte festhalten, weil mir natürlich klar gewesen ist, dass ich diese Chance nie wieder in meinem Leben haben werde. Andererseits ist es auch sehr schwer planbar, und bei all den Dingen, mit denen ich mich in dieser Zeit rumgeschlagen habe, ist es doch ziemlich in den Hintergrund gerückt. Es ist einfach passiert.
Du machst Kammermusik, komponierst Filmmusik, spielst Saxofon und hast dann ein Alternative-Pop-Album aufgenommen. Wie kommt es, dass du dich mit „Moth/Flame“ jetzt plötzlich Folk und einem so konservativen und homophoben Genre wie Country zuwendest?
Dahl: Durch meinen Umzug in die USA habe ich Country plötzlich verstanden. Beim Autofahren durch diese weiten, wüstenartigen Landschaften habe ich das ständig gehört. Allerdings vor allem den Country der 60er. Dolly Parton ist ja durchaus auch eine queere Ikone.
Mittlerweile gibt es aber auch eine queere Countryszene.
Dahl: Stimmt, aber neue Countrymusik höre ich meist schon wegen der zu glatten Produktion nicht. Überhaupt höre ich selten Musik, die jünger ist als ich. Und ich hänge meist sehr lange auf Sachen fest. Das gemeinsame Album von Dolly Parton, Emmylou Harris und Linda Ronstadt habe ich bestimmt ein Jahr lang täglich gehört. Wenn ich dann mal aktuelle Sachen für mich entdecke, bin ich viel zu spät dran. Vor ein paar Monaten ist mir aufgegangen, wie gut Miley Cyrus ist.
In „Brief Encounters“ singst du „Stranger I didn’t expect you to be so mindful of me/Drinking water all day and eating salad/So you could piss all over me“. Ist das ein Mittelfinger in Richtung konservativer, transphober Countryhörer?
Dahl: Es ist auf keinen Fall als Provokation gemeint. In einer idealen Welt sollte eine solche Textzeile nicht provokativ sein. Vor allem aber ist es nicht ironisch gemeint, und wenn wir hier über Humor sprechen, geht es mir höchstens darum, die Erwartbarkeit von Texten zu unterlaufen. Es sind Trennungssongs auf der Platte, aber auch Lieder, die Liebe an vermeintlich falschen Orten suchen und finden. Liebe, die nicht unbedingt auf ein ganzes Leben ausgelegt ist. Diese Songs gehen der Frage nach, was Intimität bedeuten kann.
Hast du deswegen auch den Song „Ficken 3000“ nach einer legendären Berliner Gaybar mit Darkroom benannt?
Dahl: Es ist der Ort, an dem ich zum ersten Mal cruisen war. Anfangs war ich total ängstlich und habe mich panisch auf der Toilette eingeschlossen, um einen Freund anzurufen. Dann aber hatte ich einen großartigen Abend. Es ist ein so wichtiger Ort, der wirklich offen für alle ist. Ein Ort, an dem man sich gut fühlen kann und Rückenstärkung durch die Community erfährt. Aber vielleicht sollte ich gar nicht so viel über dieser Bar sprechen. Für diesen Ort ist es auch extrem wichtig, dass er ein kleines Geheimnis bleibt.