Arto Lindsay über Heimat und die Erotik von Städten
Auf seinem Album „Mundo Civilizado“ sind nord-, sowie südamerikanische Einflüsse zu hören, was sagt Arto Lindsay selbst dazu?
Samba meets New York in Gestalt von Arto Lindsay. Als gebürtiger Amerikaner, der Kindheit und Jugend in Brasilien verbrachte, schleppte er einst Südamerikanisches in den Eierkopf-Rock der New Yorker No-Wave-Szene ein. Sein neues Album „Mundo Civilizado“ (Rykodisc/Rough Trade) ist die ruhige, entspannte Tagseite der musikalischen Seele Arto Lindsays, auf deren Nachtseite sich jede Menge Noise und Experimentelles verbirgt.
Körperbetont, doch wohldosiert
Dennoch macht Arto Lindsay, der Kopfmusiker, der kein Instrument spielt („zumindest nicht im herkömmlichen Sinn“), Musik, die körperbetont ist, obwohl keine Sambabläser herumtröten und die Percussion kein Bongo-Exzeß, sondern wohldosiert und zurückgenommen ist.
Deine Biografie hat dafür gesorgt, dass du zum Wanderer zwischen musikalischen Welten wurdest. Wo liegt deine eigentliche Heimat?
Vom Gefühl her neige ich zu keiner der beiden Seiten, aber wenn man es objektiv betrachtet, muss man wohl zugeben, dass meine Musik stärker nordamerikanisch ist, da Englisch meine Muttersprache ist. Ich war drei, als ich mit meinen Eltern nach Brasilien kam, und da konnte ich schon sprechen. Ich habe da für fünfzehn Jahre gelebt, und ich fühle mich in gewisser Weise auch als Brasilianer, aber nachdenken tue ich darüber eigentlich nur bei Interviews.
Manche Dinge lassen sich in bestimmten Sprachen leichter rüberbringen, aber Gefühle und Emotionen – das versteht man in jeder möglichen Sprache. Jede Sprache hat Liebeslieder.
Wie fing deine musikalische Erziehung an?
Ich war in den Sechzigern ein Teenager, und das war natürlich eine unglaubliche Zeit, in Brasilien wie überall. Und wir waren ja nicht von der Welt abgeschnitten: Wir hörten die Beatles, die Stones, Hendrix, Stevie Wonder, das ganze Motown-Zeug – das gab es bei uns genauso gut.
Aber du bist doch sich auch jeder Menge einheimischer Musik begegnet?
Brasilien ist einfach ein riesiges Land, und überall sind die Leute absolut vernarrt in Musik. Es gibt so viele verschiedene Arten und Stile innerhalb Brasiliens. Es gab eine Menge zum Hören, auf der Straße, überall. Im Nordosten basierte das meiste auf dem Akkordeon. Es gab auch eine ganze Menge Karnevalsmusik und vieles, was einen afrikanischen Ursprung hatte.
Diesen Hintergrund konnte man bei deinen früheren Bands aber nie heraushören.
Bei den Lounge Lizards nicht, das stimmt. Bei DNA gab es einen brasilianischen Einfluss, der ist vielleicht nicht unmittelbar zu erkennen ist, aber wir hatten ein paar portugiesische Texte. Seit den 60ern hat sich in Brasilien auch eine neue Tradition herausgebildet, die radikaler Popmusik, die gleichzeitig populär und avantgardistisch ist – daran wollten wir anknüpfen. Und bei den Ambitious Lovers war die Idee, mit der wir anfingen, Funk und Samba zu mixen.
Ich fand deine langsame, leicht südamerikanisierte Version von „Erotic City“ von Prince ein höchst unerwartetes Cover. Wie bist du auf diesen Song verfallen?
Ich wollte dieses sehr amerikanische Stück in einen anderen Kontext setzen. Der Text bietet einen starken Kontrast zu den anderen auf dem Album, weil er so direkt ist. Ich liebe das Stück allein schon des Titels wegen, der die Idee enthält, dass Städte erotisch sein können. Dieser Gedanke hat eine lange, interessante Geschichte, von Baudelaire bis zu Rocky, einem japanischen Fotografen, der nichts als nackte Frauen und Straßenszenen ablichtet.
Empfindest du die Erotik der Städte auch selber stark?
Ich fühle mich in Städten wohl und mich zu ihnen hingezogen. Ich fühle zum Land keine solche Beziehung, von Italien einmal abgesehen. Das Land ist fantastisch, du musst es einfach lieben! Abgesehen davon, ist meine Musik ziemlich städtisch. Ich habe nie auf einem Bauernhof gelebt. Es ist garantiert nicht Country und wird es auch nie werden.