„Asbest – Staffel 2“ in der ARD: Bloß ein Märchen mit Knarren?
Ein Fight Club im Knast, ein Skandal-Politiker mit Vogel, geklaute Drogen, Waffen, Gangsterkriege. „Asbest – Staffel 2“ fährt mitunter zu groß auf – glänzt es doch vor allem als introspektives Straßenmärchen.
Als im Januar 2023 Kida Khodr Ramadans Knastserie „Asbest“ an den Start gegangen ist, setzte dies neue Maßstäbe: Mit drei Millionen Streams in gerade einmal drei Tagen war „Asbest“ die erfolgreichste Serie der ARD-Mediathek aller Zeiten. Und das mit einem Stoff, den man so eigentlich nicht im eher biederen ÖR-Streaming-Angebot vermuten würde. Wie von Ramadan gewohnt, strotzte die Serie nur so vor harten Bildern, harter Sprache und einer noch härteren Geschichte über den 19-jährigen Momo (Xidir Koder Alian), der ungewollt zwischen die Fronten eines Straßenkrieges gerät und plötzlich wegen eines Mordes, den er nie begangen hat, unschuldig im Knast sitzt. Getragen von dem Who’s Who der deutschen Straßenschauspiel-Prominenz – die Liste ist zu lang, um sie alle hier zu nennen – wurde daraus ein Blockbuster, der allerdings vor allem durch den Schlüssellochblick ins Private, hinter die Zellentüren und Großfamilienkulissen zu glänzen wusste. Und genau da setzt nun auch Staffel 2 der erfolgreichen ARD-Serie an (Ab sofort in der ARD-Mediathek streamen).
„Asbest – Staffel 2“: Kida Khodr Ramadans Erfolgsserie in der ARD
„Es wäre natürlich ein leichtes gewesen, nach dem riesigen Erfolg der ersten Staffel zu sagen: Da setzen wir jetzt noch einen drauf, in dem wir einfach nur größer werden. Mehr Action, mehr Gegenspieler, mehr Explosionen“, erklärt Juri Sternburg, der vom Drehbuchautor nun zum Regisseur geworden ist und gemeinsam mit Olivia Retzer die inszenatorische Leitung Ramadans übernommen hat, der nun nur noch als der einäugige Insasse Teil des Ensembles ist. Und es stimmt: Natürlich greift auch „Asbest – Staffel 2“ immer noch hoch oben ins Gangsterstreifen-Regal und verliert sich mitunter sogar etwas in den großen Gangstergesten, wenn etwa schon nach drei Folgen gefühlt jeder zweite des wirklich ausufernden Casts eine Knarre in der Hand gehalten hat. Dennoch bleibt sich die Serie in ihrer Introspektion treu und folgt dem – so muss es wirklich sagen – armen Momo auf seiner Flucht aus dem Knast, bei der ein Wärter gestorben ist. Damit steht es 1:1 in Sachen begangener und in die Schuhe geschobener Mord – oder etwa doch nicht?
Kaum ist Momo aus dem Knast geflohen, gehen Familienoberhaupt Ámar (Stipe Erceg) und dessen Handlanger Hassan (Veysel Gelin) rein ins Gefängnis – und hier muss unbedingt noch einmal Veysel Gelin hervorgehoben werden, der in einer Serie, die in Sachen Qualität des Schauspiels extrem schwankt, eine absolute Naturgewalt ist.

Dieser Seitenwechsel von Momo, Ámar und Hassan ist ein eleganter Kniff, die Dynamik der ersten Stafel auf den Kopf zu stellen. Momo taucht im Folgenden unter, und drinnen beginnen Ámar und Hassan, ein neues Business aufzubauen: ein Wettgeschäft für ihren illegalen Fight Club. Auch hier schlittert die Serie immer haarscharf am Gangsterkitsch entlang und kann es nicht immer verhindern, etwas in die Unglaubwürdigkeit abzukippen. Wobei dies wohl bei einem solchen Genre-Streifen dazugehört.

Dieser zuweilen etwas überambitionierte Approach zieht sich allerdings durch viele Ebenen. So wurde das Geflecht aus Intrigen, Machenschaffen und parallele laufenden Handlungssträngen noch durch drei zentralen Rollen und ihre Interessen erweitert: Clemens Schick als spielsüchtiger Wärter, Deleila Piasko als psychopathische Ermittlerin und Fabian Hinrichs als skandalumwitterter Politiker. Letzterer tut dem Humor, der ansonsten fast alleine von den pointierten Dialogen der beiden jungen Nachwuchsgangster Abdul (Maradona Akkouch) und Nabil (Mohamed Akkouch) getragen wird, besonders gut. Wobei auch hier wieder das Problem der Glaubwürdigkeit: ein Innensenator mit einem Wellensittich in seinem Büro? Klar: Das ist dann irgendwie schon eine kultige Figur, aber klingt das nicht ein bisschen nach Märchen?
„Asbest“: Großstadt- und Gangstermärchen aus Berlin
Doch womöglich will „Asbest“ genau das sein: ein Großstadt- und Gangstermärchen aus Berlin. Toll anzugucken, absolutes Binge-Material und von einem Soundtrack getragen, der gegenwärtiger kaum sein könnte. Paula Hartmann, Apsilon, Lacazette, Wa22ermann und RAPK geben dieser Serie einen Klang, der ihr gebührt: hart, verletzlich – und erfrischend cool. Da kommt selbst die ARD nicht drumherum, die zweite Staffel nun anders als die erste auch mit ins lineare Programm aufzunehmen – wenn auch mitten in der Nacht.