Atrin Madanis Album „Where are we now“ – Status: Wo?
Während Jazzsänger Atrin Madani im KaDeWe die Freiheit kostet, flüstert ihm David Bowie ins Ohr.
Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Wo stehen wir jetzt? Nichts verrät uns mehr über die Gegenwart als unsere Künstler:innen. Und obgleich die Intentionen selten aufklärerischer Natur sein mögen, lässt sich doch Jahre später, Schicht für Schicht, Wahrhaftigkeit aus den Werken abtragen: Drei Jahre vor seinem Tod hat David Bowie das Album „The next Day“ veröffentlicht. Es ist eine Rückkehr zum Rock, und mit der bodenlos melancholischen Single „Where are we now“ erinnert sich Bowie an seine Zeit im geteilten Berlin. Er wandelt vom Potsdamer Platz über die Nürnberger Straße zum KaDeWe: Nirgendwo wird die Genese der Freiheit deutlicher als in der Hauptstadt – und das weiß auch der Berliner Jazzsänger Atrin Madani, der Bowies Berlin-Ballade gleich ein ganzes Album gewidmet hat.
Zwar kommt Madani 1998 in einem Schöneberg ohne Ost-West-Grenzen zur Welt, und dennoch ist er sich als Sohn iranischer Einwanderer:innen bewusst, wie fragil ein freiheitliches Leben sein kann. Nur konsequent, dass der Mitte Zwanzigjährige nun zwischen feministischer Revolution im Iran und Krieg in Europa mit seinem Album „Where are we now“ eine Inventur der Gegenwart wagt – und dafür in die Vergangenheit blickt.
Atrin Madani: Cover der Beatles, Nick Drake und Coldplay
Madani lässt bis dato kaum interpretierte Songs von etwa den Beatles („The Fool on the Hill“), Nick Drake („Things behind the Sun“), Harry Nilsson („Everybody’s talkin’“) oder eben David Bowie wie ikonische Jazzklassiker und stilvoll getragene Swingnummern klingen, erzählt kleine Geschichten von Verlust, Liebe und Fernweh mit der zugewandt-warmherzigen Präzision eines Frank Sinatra oder Tony Bennet, und er lässt mit einem charmanten Schmunzeln technische Sperenzchen aufblitzen, die viel mehr Spaß als Protz sind.
Selbst ein Song der britischen New-Wave-Band Squeeze („Tempted“) und die Poprockgiganten Coldplay („Yellow“) finden ihre Huldigungen zwischen überraschenden Grooves und verschmustem Slowjazz. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. „Where are we now“ ist keines dieser Jazzalben, das sich mit panischer Schnappatmung am grellen Plüsch des Pop festhält, um bloß nicht im heraufbeschworenen Überangebot zu ertrinken. Schließlich hätte Madani sonst ganz andere Songs ausgewählt.
Und dennoch sieht sich der Berliner zweifellos in einer Tradition des unterhaltenden Jazz: „In Deutschland und in Europa haben wir im Jazz oft das Problem, dass wir viel zu viel Kunst machen wollen. Und nicht die Kunst darin sehen, andere Menschen zu berühren“. Mit seinem Album beweist Madani, dass Freiheit auch bedeutet, den Mut aufzubringen, Bestehendes frei nach den eigenen Vorstellungen zu formen – und so dem Erwartbaren zu trotzen.