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„Das ist ein russischer Marvel-Roman!“

August Diehl spielt die Hauptrolle des Teufels Woland in dem russischen Film „Der Meister und Margarita“. Der Film kommt am Donnerstag in die Kinos.
August Diehl spielt die Hauptrolle des Teufels Woland in dem russischen Film „Der Meister und Margarita“. Der Film kommt am Donnerstag in die Kinos. (Foto: Capelight Pictures)

„Der Meister und Margarita“ kommt am 1. Mai in die Kinos – ein russischer Film von einem amerikanischen Regisseur über Zensur in der Sowjetunion. Der deutsche Schauspieler August Diehl spielt in der Bulgakow-Verfilmung den Teufel, der über Moskau kommt. kulturnews sprach mit August Diehl über russische Kultur in Zeiten des Kriegs.

Herr Diehl, „Der Meister und Margarita“ (hier die Rezension zum Film) wurde 2021 gedreht. Wie präsent ist Ihnen eigentlich der Dreh noch?
August Diehl: O, der ist mir sehr präsent. Weil ich Russland so beeindruckend fand. Die russische Arbeitsweise, die russischen Kollegen. Und weil ich in einer so riesigen Literaturverfilmung dabei war. Für mich war das alles ganz neu, fremdartig und gleichzeitig sehr vertraut. Ein seltsames Gemisch, so wie der Film selber auch ist: eine Mischung aus Vertrautheit und Fremdheit.

Sie scheinen eine gewisse Liebe zur russischen Kultur entwickelt zu haben. Im Sommer spielen Sie in Salzburg in der Bühnenadaption des Romans „Der Schneesturm“ von Vladimr Sorokin die Hauptrolle des Dr. Garin, der eine Zombie-Epidemie in der russischen Provinz bekämpfen soll. Hat „Der Meister“ das bewirkt?
Diehl: Das ist nicht erst jetzt passiert. Ich glaube, meine allererste Affinität zu irgendeiner Kultur überhaupt war die zur russischen Kultur. Das fing mit Dostojewski an, aber auch mit Musik, mit Rachmaninow, Tschaikowski. Schon mit den russischen Märchen fing das an. Mit Baba Jaga und diesen ganzen Geschichten. Seitdem ist mir das Russische sehr, sehr nah.

Dann können Sie durch ihre jüngsten Projekte beruflich ihre schon lange entwickelten Liebe zur russischen Kultur pflegen?
Diehl: Ja, vor allem fand ich die Zusammenarbeit mit Kirill Serebrennikov beim Dreh des Films „Das Verschwinden des Josef Mengele“ (der Film wird im Mai in Cannes zum ersten Mal gezeigt, die Red.) so gut, dass ich jetzt mit ihm weiter arbeite und ein Theaterstück mache, was mir großen Spaß bereitet. Kirill ist jemand, der sehr stark an seinen Leuten – da bin ich nicht der einzige –hängt und es ganz schön findet, längere Zeit mit jemandem zusammenzuarbeiten.

Die Rolle des Meisters ist im Gegensatz zum Roman hier im Film mit der Figur des Autors Michail Bulgakow verschmolzen. Hier stehen er und Margarita beim Lesen des Manuskripts am Fenster. „Der Meister und Margarita“ startet am Donnerstag in den Kinos.
Die Rolle des Meisters ist im Gegensatz zum Roman hier im Film mit der Figur des Autors Michail Bulgakow verschmolzen. Hier stehen er und Margarita beim Lesen des Manuskripts am Fenster. „Der Meister und Margarita“ startet am Donnerstag in den Kinos. Foto: Foto: Capelight Pictures

Gehen wir noch mal zum Dreh von „Der Meister und Margarita“ zurück. War der Krieg Russlands gegen die Ukraine am Set ein Thema?
Diehl: Der Krieg war ja noch nicht da. Im Oktober 21 war der Film fertig gedreht. Ich fuhr zum Flughafen und fragte beim Fahrer nach, mit dem ich mich inzwischen sogar ein bisschen angefreundet hatte: Im Westen würde die CIA Information veröffentlichen, wonach sich russische Truppen an der ukrainischen Grenze versammeln. Er sagte, das sei alles nur westliche Propaganda. Warum sollte Putin die Ukraine überfallen?

Drei Jahre später wurde der Film zum Publikumsmagneten. Gleichzeitig wurde Regisseur Michail Lockshin – er hat den US-Pass – massiv für seine Haltung zum Ukrainekrieg angegriffen, und die Schauspielerinnen und Schauspieler sowieso. Wie haben Sie das mitbekommen?
August Diehl: Gegen jeden, der sich gegen den Krieg ausgesprochen hat, waren die Angriffe massiv. Ich fand den Mut, den die Schauspieler hatten, unglaublich. Auch Mischas Haltung fand ich unglaublich mutig. Mit tut das alles wahnsinnig leid. Aber gleichzeitig werden diese Schauspieler in Russland nie vergessen werden, die in „Der Meister und Margarita“ mitgespielt haben.

Sie waren bei der Premiere des Films nicht in Moskau.
Diehl: Mischa war auch nicht dort. Es ist einfach schwierig, in ein Land zu fahren, das gerade Krieg führt und das sich ganz offen ausspricht gegen die Schauspieler des Films. Ich hätte wahnsinnig gerne eine Premiere in Russland gehabt, und es tut mir wirklich sehr leid. Ich würde überhaupt sehr gerne wieder nach Moskau fahren, und ich werde es irgendwann auch wieder ganz, ganz oft tun.

Wie erklärten Sie sich den erstaunlich großen Erfolg des Films in Russland?
Diehl: Da spielen meiner Meinung nach mehrere Dinge zusammenspielen. Einerseits gibt es durch den kulturellen Boykott schlicht wenige große Filme, die in Russland überhaupt laufen. Auf der anderen Seite ist es halt Bulgakow, bei dem Zensur das große Thema ist, ein Thema von ganz großer Aktualität. Bulgakow hatte mit seinem Roman den Nagel auf den Kopf getroffen, und alle sagen, das sei jetzt alles wieder aktuell. Ich aber denke, traurigerweise ist das nicht nur Bulgakows Verdienst, denn wenn sich ein System seit 100 Jahre nicht ändert, dann ist natürlich alles, was damals geschrieben wurde, jetzt noch aktuell.

Der Teufel Woland auf seinem Thron im Varieté, während seine Gehilfinnen und Gehilfen das Theater ins Chaos stürzen. „Meister und Margarita“ startet am Donnerstag in den Kinos.
Der Teufel Woland auf seinem Thron im Varieté, während seine Gehilfinnen und Gehilfen das Theater ins Chaos stürzen. „Meister und Margarita“ startet am Donnerstag in den Kinos. Foto: Foto; Capelight Pictures

Der Film ist aber nicht nur beim Publikum erfolgreich, er hat auch sehr gute Kritiken geerntet. Gleichzeitig wird er politisch massiv angegriffen. Alles auf einen Schlag – in Russland. Ist das Grund für ein bisschen Hoffnung, dass die Zivilgesellschaft eine Änderung herbeiführen könnte?
Diehl: Ich glaube, dass das alles zusammengenommen Grund ist für den Erfolg des Films, auch die hysterische Reaktion der kremlnahen Leute auf diesen Film hat zum Erfolg beigetragen. Ja, das gibt mir Hoffnung. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder gesagt: Ich glaube nicht, dass Künstler die Welt verändern können. Aber anscheinend geht es doch! Es gibt Filme, die können das! Auch in Polen: Agnieszka Hollands Filme, die sogar Wahlen beeinflussen können, sind ein Beispiel. Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben. Und gerade Filme können sehr, sehr stark etwas verändern.

Hatten Sie zwischenzeitlich die Befürchtung, dass der Film keine internationale Vermarktung finden könnte?
August Diehl: Da hatte ich große Befürchtungen, denn derzeit wird im Westen alles, was aus Russland kommt, mit Argwohn beachtet. Das ist ja auch nachvollziehbar. Aber jetzt ist der Film für mich so etwas wie ein russischer Emigrant, den wir ganz besonders willkommen heißen sollten.

Bulgakows Roman wurde zu Lebzeiten des Schriftstellers zwar nicht explizit verboten, wurde aber schlicht von keinem Verlag gedruckt, Der Film nun wurde zwar in Russland gezeigt, gleichzeitig aber auch massiv angegriffen. Zusammen mit dem Run auf die Kinokassen ergibt das einen erstaunlichen Schwebezustand in der Rezeption. Wie lässt sich das vergleichen?
Diehl: Das ist das, was ich meinte: Es ist immer noch Zensur. Es wird immer noch unterschieden zwischen dem, was man sagen darf, und dem, was man nicht sagen darf. Der Film hat Schwierigkeiten, Verleihe zu finden, genauso wie der Roman Schwierigkeiten hatte, einen Verlag zu finden, der ja zu erst im Westen entdeckt wurde und eine Riesengeschichte hat. Ich sehe da beängstigend viele Parallelen.

Vladimir Sorokin, dessen Stück Sie im Sommer in Salzburg spielen werden, lebt als Russe seit Jahren in Berlin, hat den Krieg Russlands in ausführlichen Zeitungsartikeln und das System Putin bereits seit Jahrzehnten massiv kritisiert. Dennoch konnte er in einem großen Moskauer Verlag publizieren mit einer Ausnahme: 2023 wurde seinem jüngsten Roman die Veröffentlichung verweigert. Wie geht das zusammen?
Diehl: Das ist nicht neu, das ist der typisch russische Zwiespalt. Man kann jeden Künstler nennen, der verehrt wird, und Russland hat seit Jahrhunderten eine Kulturexplosion, die ihresgleichen sucht. Ob Komponisten, ob Schriftsteller: Sie wurden immer verfolgt, immer unterdrückt. Hatten immer Schwierigkeiten. Das hat mit der russischen Geschichte zu tun, und es verändert sich nicht. Aber vielleicht ist es auch einer der Gründe, warum die russische Kultur so stark ist. Weil sie sich immer gewehrt hat, weil sie sich versymbolisieren, eine künstlerische Sprache finden musste, um bestimmte Sachen ausdrücken zu können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Das ist absolut nicht neu, es war schon immer.

Bulgakow bezieht sich in „Meister und Margarita“ sehr stark auf Goethes „Faust“. Ich kann mir keine „Faust“-Verfilmung vorstellen, die auch nur annähernd die Kinokassen zum Klingeln bringen könnte wie „Der Meister und Margarita“.
Diehl: Da täuschen Sie sich absolut nicht. Das hat aber auch damit zu tun, dass „Faust“ nicht gefährlich ist in Deutschland, sondern völlig angenommen wurde. Von allen. Immer. Aber Bulgakow war und ist gefährlich, und alles, was gefährlich ist, ist auch anziehend. Und wenn es dann wirklich veröffentlicht wird, wird es auch zum Erfolg. Ich glaube, dass die heftige Reaktion der kremelnahen Leute ebenfalls zum Erfolg beigetragen hat. Was aus dem Underground kommt, was gegen das System ist, ist auch interessant.

Der Trailer auf Russisch mit deutschen Untertiteln. Im Original kommt die Stimmung des Films besser zur Geltung.

Ich empfinde den Film als wunderbare Melange aus tragischer Liebesgeschichte, einem riesigen Fantasyelement, das in seinen wilden Momenten an frühe„Batman“-Verfilmungen erinnert …
Diehl: (unterbricht) Durchaus!

Und man denkt, gleich kommt Joker und verführt ganz Gotham City.
Diehl: Absolut! Für mich ist bereits der Roman eigentlich ein russischer Marvel-Roman. Wenn man ihn so liest übrigens, dann genießt man ihn auch. Man darf ihn nicht mit Gravitas und Schwere lesen wie so viele russische Literatur, „Der Meister und Margarita“ mit seinem „Zack Bumm“ und „Bäng!“ hat eine sehr satirische Sprache.

Damit kommen wir zurück zu meiner begonnen Frage nach der Melange, zu der noch die Politsatire hinzukommt. Welches Element ist Ihrer Meinung nach maßgeblich für Roman und Film?
August Diehl: Da kann man kein Element hervorheben, das ist die Melange, die alle Elemente zusammenbringt – bis hin zum biblischen Element. Es ist alles drin, und es funktioniert. Das ist nicht selbstverständlich, hier im Westen haben wir ja die Vorstellung, dass ein Film entweder Blockbuster ist oder Arthouse. Hier ist es alles auf einmal, und es funktioniert. Und das hat mit Bulgakow zu tun, wie er die Elemente zusammenbrachte.

Interview: Jürgen Wittner

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