Tom Tykwer: „Die Serie ist ein gefräßiges Biest!“
„Babylon Berlin“ geht in die dritte Staffel – und ist damit noch lange nicht zu Ende. Sie ernährt sich ja von ihren Regisseuren um Tom Tykwer.
Herr von Borries, Herr Tykwer, die dritte Staffel „Babylon Berlin“ hat drei parallel laufende, gleichwertige Handlungsstränge: einen klaren Krimi, in dem Mordfälle aufgeklärt werden, einen Politkrimi mit dem noch immer nicht aufgelösten Mord an Regierungsrat August Benda aus den ersten beiden Staffeln, und schließlich die Folgen der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise bis hin zum großen Börsencrash. Welchem Strang galt Ihr Herzblut?
Tom Tykwer in Richtung Achim von Borries: Kannst du das sagen, so was? Ich kann das gar nicht so sagen.
Achim von Borries: Nee, das kann man wirklich nicht. Aber wir hatten unterschiedliche Aufgabengebiete beim Schreiben des Drehbuchs. Ich zum Beispiel habe die Geschichte des Börsencrashs und der in unserer Geschichte damit verbundenen Leerverkäufe recherchiert. Ich hatte dabei sogar Kontakt zu einem Harvard-Professor. Unsere Geschichte ist zwar fiktiv, aber es gab auch damals Gewinner der Krise, nur eben keinen wie Alfred Nyssen. Niemand, der derart hellsichtig war, der all das vorhergesehen hat, was viele Menschen eben nicht sahen.
Tykwer: Aber wir unterstellen, dass es ihn gab, weil wir damit Bezug nehmen wollen auf beiden letzten großen Katastrophen. Es gibt ja auch unglaubliche Profiteure, die aus der Coronakatastrophe Milliardengewinne generiert haben. Profiteure, die genau dieses Konstrukt gewählt haben, auf die Apokalypse zu setzen und daraus unvorstellbare Profite zu generieren. Das hat uns fasziniert, und für die Katastrophe dieser Epoche, in die wir eintauchen, war es das richtige Bild.
von Borries: Aber auch die Geschichte der Dreharbeiten, der Film im Film war toll, und den hast du, Tom, schließlich finalisiert im Drehbuch.
Tom Tykwer: Stimmt, das Babelsberg-Thema war dann irgendwann mein Steckenpferd. Das kam aber auch ein bisschen zufällig, denn unsere Drehpläne sind ja nicht strukturiert nach dem, was man gerne drehen würde. Wir drehen alle drei hintereinander immer einen großen, eigenen Block, und das ist dann immer abhängig von der Verfügbarkeit von Schauspielern oder von Motiven. Dann fällt uns plötzlich was auf den Tisch, und manchmal sagt man: Gut, dass ich das erwischt habe! Oder man sagt: O Gott, da habe ich mich ja schon beim Schreiben am unsichersten gefühlt! Aber dann ist es gerade gut, wenn man diese Szenen als Regisseur macht und mit einer gewissen Anspannung reingeht. Als das Babelsberg-Thema bei mir gelandet ist, war ich froh, denn das habe ich unheimlich gerne gemacht. Es gibt aber auch zwei, drei Nebenstränge der Handlung, die für uns eine weit größere Bedeutung haben, weil sie emotional so eine Kraft entwickeln.
Was auch sehr interessant ist: Die Serie wird nicht nur mit den Geschehnissen an der Börse immer politischer und ernster. Diese Ernsthaftigkeit verspricht für die Zukunft noch einiges.
von Borries: Wir wollten immer ein großes Panorama schaffen und die Stadt Berlin aufleben lassen mit allen möglichen Akteuren – von den Einfachsten, Ärmsten bis hin zu den ganz Reichen, den großen Playern und den Politikern. Natürlich war unsere Unternehmung immer schon politisch gedacht. Wir haben das Gewand des Polizeifilms nur gewählt, um die Geschichte auch unterhaltsam erzählen zu können. Auch das Politische erzählen wir als Krimi, was es letztlich ja auch war, wenn man es rückwirkend betrachtet. Es sieht ja immer erst im Nachhinein so aus, als wäre alles so zwangsläufig geschehen, von der Niederlage im Ersten Weltkrieg geradewegs in den Zweiten Weltkrieg. Aber in Wirklichkeit wurden auf diesem Weg viele, viele Entscheidungen gefällt, und es hätte alles auch ganz anders kommen können. Wir bemühen uns in der Serie, so zu tun, als wüssten wir nicht, wie sich die Zeit entwickelt.
Gereon Rath hat ja durchaus einen moralischen Kompass. Aber gilt das auch für seine politische Haltung? Ich meine: nein.
von Borries: Wir haben ihn ja nicht umsonst mal das Buch seines Sohnes in die Hand nehmen lassen. Oder seines Neffen, ganz sicher sind wir uns in dem Punkt auch noch nicht. Jedenfalls hat Moritz Rath ein Exemplar von „Mein Kampf“ am Schulhof bekommen und der Zuschauer damit einen ersten Eindruck von den Möglichkeiten unseres Helden. Wie er sich entscheidet, müssen Sie in Staffel 4 sehen, wir haben das Drehbuch schon geschrieben. (lacht) Aber noch nicht gedreht.
Tykwer: Es ist uns wirklich ein großes Anliegen, dass wir eines deutlich machen: Selbst Figuren, auf die man sich stark bezieht, sind nicht schon a priori davon ausgeschlossen, von einer Bewegung erfasst zu werden. Diese Bewegung hat damals ja das ganze Land erfasst. Die Menschen damals wurden von Existenzängsten geplagt, die sie auch fragiler gemacht haben in ihrer politischen Perspektive.
Auch bei Rath?
Tom Tykwer: Bei Rath haben wir es als bedeutenden Punkt empfunden, dass er zwar von innen heraus immer Impulse hat, mit denen man sich am Ende des Tages schon identifizieren kann. Man kann daraus aber noch kein klares politisches Bewusstsein ableiten. Denn das wäre etwas anderes als Raths intuitiver moralischer Kompass. Diese zwei Dinge sind bei Rath durchaus noch im Konflikt und können sich auch immer wieder neu arrangieren. Wir können garantieren, dass das ein Thema bis ans Ende dieser ganzen Unternehmung sein wird.
von Borries: Henk (Handloegten, die Red.) hat es – um ihn hier auch mal zu Wort kommen zu lassen – so gesagt: Die Nazis sind immer die anderen. Genau das wollten wir ausschließen. Wir wollten nicht auf diese „anderen“ runterschauen, das soll theoretisch auch einem Helden wie Gereon passieren können.
Wie steht es um Charlotte Ritter? Sie muss in der neuen Staffel privat durch die Hölle gehen. Gleichzeitig ist das, was ihr passiert, ja auch hochpolitisch.
Tykwer: Charlotte versucht sich als Frau zu positionieren, in einer Zeit, in der das zum Teil aus einer gerade erst entstandenen neuen Offenheit gegenüber der Position der Frau in der Gesellschaft erst möglich wird. Aber nicht nur deshalb, denn der durch den Ersten Weltkrieg entstandene Mangel an Männern begünstigt das auch. Sie versucht sich einen neuen Raum zu schaffen als Person, die noch nicht zurückgreifen kann auf Erfahrungen vergangener Generationen. Eigentlich muss sie Systeme erfinden, in denen die Frau eine wirklich gestaltende Position in der Gesellschaft findet. Ihr dabei zuzuschauen, auch dabei, wenn sie sich vertut oder es doch nicht schafft, wie sie den Spagat nicht hinkriegt zwischen ihren Zielen und dem, was von einer Frau noch gleichzeitig erwartet wird in der Gesellschaft: das wollen wir erzählen. Und Liv Lisa Fries verkörpert das ungemein gut. Charlotte scheint ihrer Zeit einerseits voraus zu sein, dann wieder wird sie zurückgeworfen in die Enge und Reduktion ihrer zugewiesenen Rolle.
von Borries: Anders als Gereon aber ist sie eine Figur mit klarer Moral. Sie tut zum Beispiel sehr viel für andere – auch in der neuen Staffel. Trotzdem gilt sie nach bürgerlichen Moralvorstellungen als leichtes Mädchen, das sie mal war. Auch mit dem Gesetz nimmt sie es nicht so genau. Allerdings ist es bei einer Figur wie Charlotte unvorstellbar, dass sie bestimmte, sehr böse Dinge täte, nicht?
Als Sie 2017 mit „Babylon Berlin“ an den Start gingen, gab es auf dem internationalen Mark kaum deutsche Serien. Seitdem ist viel passiert. Von „Dark“ über „Deutschland 83“ bis hin zu „Oktoberfest 1900“: Die Serien verkaufen sich auch international. Ist es primär das internationale Geld, das diese Entwicklung möglich macht, oder sind deutsche Themen interessanter geworden?
Tom Tykwer: Natürlich hat sich der Markt massiv verändert dadurch, dass dieser Schritt gemacht wurde: zu realisieren, dass die Welt jetzt nicht darauf wartet, für den Rest ihres Lebens ausschließlich von amerikanischen Serien bespeist zu werden. Dass es stattdessen eine genuine Sehnsucht der jeweiligen Kulturkreise danach gibt, Filme und Serien sowohl in der eigenen Sprache als auch im eigenen erzählerischen Gestus zu sehen. Dieses ausladende Erzählen der linear erzählten amerikanischen Serie wurde mit unglaublicher Dankbarkeit und Begeisterung aufgenommen, aber man sehnt sich doch nach vertrauteren Biografien. Das ist auch etwas, das sich jetzt durchsetzt bei den Sendern bei den Geldgebern und sich plötzlich als kommerzielles Argument darstellt. Inzwischen gibt es einen richtigen Bedarf danach. Selbst so triviales Action-Zeug wie die spanische Serie „Haus des Geldes“, die auf die 12 erzählt und Vollgas gibt, überzeugt alleine dadurch, dass es nicht schon wieder eine US-Produktion ist. Man freut sich wahnsinnig, dass die Figuren Spanisch sprechen und an europäischen Orten agieren.
Machbar aber sind diese Serien nur, weil sie für den weltweiten Markt produziert werden. Auch „Babylon Berlin“ profitiert doch vom weltweiten Verkauf der Serie!
von Borries: Da wäre ich jetzt nicht so sicher. Der große Unterschied in den Budgets ist vor allen Dingen noch die Sprache. Wir haben zwar mit „Babylon Berlin“ eine sehr hochpreisige Serie, aber natürlich sind wir mit unseren Mitbewerbern wie zum Beispiel von „The Crown“ nicht zu vergleichen. Wir haben glaub ich ein Viertel von deren Budget. Oder noch weniger! Wenn man auf Englisch drehen würde, wäre es anders, aber die Sehnsucht ist ja gerade, Geschichten in der Sprache ihrer Handlungsorte zu hören. Es kam für uns nie in Frage, die Serie in einer anderen Sprache zu drehen. Und natürlich sind wir froh, dass wir Pioniere sein konnten bei der weltweiten Rezeption der deutschen Serie als etwas sehr Interessantes.
Und für diese Pionierleistung haben Sie alle Drei seit über vier Jahren ganz offensichtlich an keinem einzigen anderen Projekt mehr gearbeitet.
von Borries: Sieben Jahre!
Okay, sieben Jahre. Wie lange wollen Sie noch enthaltsam sein in Sachen anderer Filmstoffe und dem Projekt „Babylon Berlin“ treu bleiben?
Tom Tykwer: Natürlich sind wir gedanklich schon mal woanders hingegangen. Allerdings haben wir auch gemerkt, dass es wirklich schwer ist – und das liegt in der Natur dieser Art von Serie – dass es schwer ist, sich so, wie wir als Filmemacher funktionieren, ganz auf etwas einzulassen. Man muss dann tatsächlich aussteigen aus diesem Kosmos, und zwar für so eine lange Zeit, dass man niemals in der Lage wäre, den Rhythmus in dieser Intensität aufrecht zu erhalten. Wir haben „Babylon Berlin“ ja so konstruiert, dass die Serie ein riesiger, ein gigantischer Film mit vielen Kapiteln wird, etwas, das in sich dann irgendwann eine Form hat, die nicht konfektionierbar ist. Wir wollen das unkonfektinierbarste Fernsehen machen, das man sich vorstellen kann.
Umso mehr bräuchten Sie doch mal eine Abwechslung!
Tom Tykwer: Nein. Denn das heiß in der Konsequenz auch, dass man nicht wirklich aussteigen kann. Die Serie ist ein gefräßiges Biest, das uns die ganze Zeit immer weiter verspeist. Ich muss auch zugeben, dass es mich teilweise wirklich schockiert hat, wie ich beim Kinofilm den Effekt gewohnt war: Man kämpft sich durch ein Projekt, dann ist man durch, abgekämpft, dann schneidet man es, bringt es zur Premiere, guckt es noch zweimal und legt es zur Seite, weil man wirklich alles reingebuttert hat. Die Wahrheit bei einer Serie aber ist: Man bringt diesen ganzen wahnsinnigen Kraftakt hinter sich und schläft dann zwölf Stunden. Wenn man aber am nächsten Morgen aufsteht, klingelt schon um Neun das Telefon und 25 Leute fragen: Wann habt ihr denn die nächste Staffel fertig geschrieben?
Die haben Sie ja nun schon geschrieben. Herr von Borries, haben Sie schon wieder wirtschaftspolitische Themen recherchiert, die in der vierten Staffel relevant werden?
von Borries: Nein.
Tom Tykwer: Hmmm.
von Borries: Die vierte Staffel spielt nun ja wirklich nach 1929, wir machen – kann man das eigentlich sagen? Ja, kann man – wir machen einen Sprung von einem guten Jahr. Und da ist im Jahr 1930 viel passiert.
Tom Tykwer: Die Wirtschaftskrise ist voll da!
von Borries: Plötzlich sitzen Nationalsozialisten mit 18 Prozent der Wählerstimmen im Reichstat, gleichzeitig haben die Macher im Braunen Haus in München beschlossen, den Marsch der Nationalsozialsten durch die Institutionen anzutreten, also über legale Wege an die Macht zu kommen. Natürlich haben wir viel zu dieser Entwicklung recherchiert, aber ich will weiter nichts zur vierten Staffel sagen. Schauen Sie sich nur die Jahre 30/31 an: Da sind viele Sachen passiert!
Interview: Jürgen Wittner