„Bad Axe County“ von John Galligan
In „Bad Axe County“ tauscht die mutige Serienheldin von Thrillerautor John Galligan ihren Melkschemel gegen den Sheriffstern – und begibt sich damit auf einen Höllenritt.
Ohne Rechtfertigung für die Taten der Unsympathen erschafft John Galligan in „Bad Axe County“ eindrucksvolle Szenenbilder, die bestehende Machtstrukturen demaskieren.
„Bad Axe County“ von John Galligan ist unser Krimitipp der Woche.
Die Milch macht’s? Es ist eine zweifelhafte Ehre, eine Dairy-Queen zu sein: Die 17-jährige Heidi muss fürs Milch-Marketing nicht nur Kakao kippen und Käsetrends kennen, sondern sich dem Catcalling brünstiger Bauernbürschchen aussetzen und zotig begrapschen lassen. Es beult sich nämlich in so manch einem Hosenstall, sobald eine junge Frau in Tatschweite kommt und sich das Thema um Zitzen und Gemelk dreht. Ja, es gibt ein paar Gründe, einen Bogen um das ländliche Wisconsin zu machen: Nicht selten markiert der Erwerb eines Revolvers den Abschied von der Kindheit, Alkohol und Opiate sind das A und O einer nicht zu Ende gedachten Lebensweise. Unbehindert von lästiger Intelligenz frönen Macho-Männer mit rotgebrannten Stiernacken dem Zeitvertreib einer robusten Schlägerei oder erweitern ihren dürftigen Lebenslauf mit der Teilnahme am nächsten Gangbang.
Der amerikanische Autor John Galligan stellt gleich im ersten Band seiner bislang vierteiligen Serie klar: Seine taffe Heldin Heidi muss in der Provinz des mittleren Westens gegen allerhand Dumpfbäckchen und brutale Misogynie ankämpfen. Dazu bekommt sie mit dem mysteriösen Tod ihrer Eltern schweres seelisches Gepäck aufgebürdet. Zwölf Jahre sind seit Heidis Zeit als Dairy-Queen und der vermeintlichen Selbsttötung ihrer Eltern vergangen. Mittlerweile ist sie mit dem Baseballcoach Harley verheiratet und kümmert sich um Kinder und Kälbchen. Doch hat der niemals überführte Mörder die Rechnung ohne das einstige Milchmädchen gemacht. Statt Sahnehäubchen trägt sie nun nämlich stolz einen Sheriffstern. Interimsmäßig, nachdem der korrupte Vorgänger für immer beide Augen zugedrückt hat. Eigentlich undenkbar, dass eine Frau jemandem wie Deputy Boog Lund den Job weggeschnappt. Der riecht nicht nur wie Bauernpfanne, sondern benimmt sich auch genauso derb gegenüber der ungeliebten neuen Chefin. Ein überfallener Bibliothekar, ein Einbruch in der Fleischfabrik und wieder einmal eine vermisste Teenagerin: Da bleibt Heidi wenig Zeit für die Aufklärung ihrer traumatischen Familientragödie, deren Verursacher sie endlich aufspüren und am liebsten per Selbstjustiz richten will.
Auch in „Bad Axe County“ von John Galligan wird auf Picknicktischchen penetriert und mit dem Teppichmesser tätowiert.
John Galligan hätte das alles als Country-Slasher inszenieren können, bei dem es jeder Sau grausen würde. Ja, auch hier wird auf Picknicktischchen penetriert, mit dem Teppichmesser tätowiert, und es gerinnt auch mal Hirn in einer Lache Benzin. Doch setzt Galligan auf eine elegantere Form der Anklage. Seine lebensechten Charaktere erleben mit einer irritierenden Selbstverständlichkeit die Geschehnisse seines Provinzthrillers. Ohne Rechtfertigung für die Taten der Unsympathen erschafft er eindrucksvolle Szenenbilder ohne Voyeurismus, die bestehende Machtstrukturen demaskieren. Wenn gleich zum Start der Serie ausgerechnet ein Hochdruckreiniger zur Lösung eines Verbrechens führt, lässt sich das durchaus auch allegorisch verstehen: Für Heidi wird es noch einige Dreckecken geben, in denen sie als Sheriff mal ordentlich durchkärchern muss. Zwischenzeitlich braucht sie Trost von Tieren, um sich wieder etwas zu erden. Vielleicht sollten wir alle uns hin und wieder zärtlich von einer Kuh anstupsen lassen?
Mit „Bad Axe County“ hat es John Galligan auf unsere Liste der besten Krimis im April 2024 geschafft.