Balatro erobert die Handys: Was versteckt sich hinter dem Erfolgsspiel?
Balatro hat seinen Siegeszug schon im Sommer 2020 gehalten. Aber wer hat schon Zeit, zu Hause Spiele zu spielen? Mit dem Mobile-Release nehmen wir uns dem Indie-Hit (etwas verspätet) vor.
Erst im Februar diesen Jahres erschienen, war Balatro schon im Sommer eigentlich nicht mehr aus der Games-Landschaft wegzudenken. Das vom kanadischen Ein-Mann-Developer LocalThunk entwickelte Spiel kommt mit vielen Buzzwords daher, die nicht mehr nach einem Indie-Game klingen könnten, wenn man es drauf angelegt hätte: Balatro ist ein Roguelike, ein Deckbauer, und doch so viel mehr.
Wobei ich das erst verspätet herausgefunden habe: nämlich, als Balatro im September im App Store für Handys veröffentlicht wurde. Und das ist gar nicht mal gelogen, denn noch am selben Tag, um nicht zu sagen nach dem ersten Anspielen, konnte ich den Hype schon nachvollziehen. Aber mal Kommando zurück, erst geht es an die Basics.
Was ist eigentlich Balatro?
Kurz gesagt: ein Pokerspiel. Als Spieler:in zieht man aus einem 52-Karten starken Standard-Deck zuerst eine Hand aus acht Karten, und darf dann daraus bis zu fünf Karten wählen, die dann nach den Pokerprinzipien gewertet werden. Karten mit Zahlen erhalten ihren Zahlenwert in Chips, die sogenannten face cards, also Bube, Dame und König, sind jeweils 10 Chips wert und ein Ass 11.
Der Wert der Hand in Chips wird dann je nach der Kombination der Karten multipiziert. Vom einfachen Zwilling bis hin zum Full House oder der Straße werden die Pokerhände mit zunehmender Komplexität so exponentiell wertvoller. Standardmäßig werden in Balatro fünf Hände gespielt. Wenn die erzielte Punktezahl in Chips den von Spiel zu Spiel wachsenden Einsatz übersteigt, geht es zum nächsthöheren Einsatz. Falls nicht, ist der Lauf zu Ende, und man muss von vorne anfangen.
Wie das ganze dann aussieht, kann man hier im offiziellen Spieletrailer sehen.
Es wird komplizierter
Das ist allerdings noch längst nicht alles. Vor dem nächsten Einsatz geht es in den Shop – und je nachdem, wie das Spiel gelaufen ist, verdient man Geld, das man für Sondereffekte ausgeben kann, um sein Spiel zu verbessern. Und diese Sondereffekte sind so zahlreich wie effektiv und machen das zunächst so simple Spielprinzip zunehmend komplexer.
Angefangen mit sogenannten Jokern, die mit einer nie enden wollenden Reihe an Effekten das Spiel modifizieren und es Spieler:innen so erlauben, ihre ganz eigene Strategie zu finden. Die Effekte der Joker reichen dabei von einfachen Multiplikatoren, die den Punktewert einer Hand um einen bestimmten Faktor erhöhen, bis hin zu extrem nischigen Sondereffekten, die ganz bestimmte Synergien fordern.
Und als ob das nicht genug wäre, gibt es noch viel mehr Mechaniken, die Spieler:innen nutzen können. Tarotkarten ermöglichen das Verbessern, Verändern, Ersetzen oder Entfernen einzelner Karten aus dem Deck, während Planetenkarten die Chip-Werte und Multiplikatoren bestimmter Hände verbessern. Und nach jedem abgeschlossenen Level, an dessen Ende ein Boss-Einsatz auf die Spieler:innen wartet, der mit Sonderregeln das Spiel erschwert, gibt es Voucher zu kaufen, die für eine größere Summe Geld das Spiel passiv verbessern.
Lange Rede, kurzer Sinn: Balatro ist Poker, wenn das Schummeln nicht nur erlaubt, sondern expliziter Bestandteil des Spiels wäre. Geht es zum Beginn noch nach dem ganz klassischen Poker-Prinzip los, spielt man schon bald ein ganz anderes Spiel. Das Deck lässt sich zu einem fast schon albernen Grad modifizieren – einen Royal Flush mit jeder Hand zu garantieren, ist nicht schwer, wenn man Karten in andere Karten verwandeln und ungewollte Karten aus dem Deck entfernen kann.
Suchtgefahr? Suchtgarantie!
Und ja, das Ganze ist genauso spaßig, wie es sich anhört. Das merkt man schon mit der ersten Hand, die man spielt. Nicht nur ist das Ziel, seinen Lauf so zu modifizieren, dass man mit schöner Regelmäßigkeit absurde Punktestände generiert, extrem verlockend – die ganze Aufmachung des Spiels ist darauf ausgelegt, diesem Prozess mit jedem Spielschritt die maximale Dopaminausschüttung zu entlocken.
Mit jeder Hand, die man spielt, wird das Inferno größer: Punktestände wachsen in astronomische Höhen, Modifikatoren leuchten auf, und Schriftzüge tanzen über den Bildschirm. Balatro ist eine Skinner-Box, wie sie im Buche steht – also ein Spiel, das darauf ausgelegt ist, das Stammhirn der Spieler:innenschaft zu kapern und mit jeder Sekunde den Belohnungsmechanismus zu triggern. Und das ist ausnahmsweise mal was Gutes.
Kleiner Exkurs: Die Indies retten die Games-Industrie
Denn wo die Mainstream-Gamesindustrie dieses eigentlich unschuldige Designprinzip mit Mikrotransaktionen und Abonnements dazu benutzt, einige wenige User:innen, sogenannte High Roller oder Wale (ersterer Begriff stammt passenderweise aus der Glückspiel-Industrie) dazu zu bringen, horrende Summen auszugeben, verzichtet Developer LocalThunk vollkommen auf diese Monetarisierungsmethoden.
Ja, ihr habt richtig gehört. Balatro kostet im App Store in etwa 10 Euro. Danach gehört es euch, ohne Werbung, Abonnements oder Mikrotransaktionen. Und das gibt einem irgendwie den Glauben an die Menschheit zurück – wo das Spiel doch eigentlich prädestiniert dafür wäre, seinen Spieler:innen jeden noch übrigen Cent aus der Tasche zu luchsen.
Und wer sich wie ich fragt, warum Balatro im App Store dennoch mit In-app purchases gekennzeichnet ist, sei beruhigt. Das liegt lediglich darin begründet, dass Developer LocalThunk das Spiel bald in einer Gratis-Demoversion zur Verfügung stellen möchte. Der in-app purchase ist dann lediglich die volle Version des Spiels, wie sie jetzt schon zur Verfügung steht. Das hat Developer LocalThunk zum Launch der Handy-Version auf Reddit klargestellt.
Fazit: Was kann Balatro auf dem Handy?
Den strengen Vergleich habe ich hier nicht. Ich habe Balatro noch nie auf dem PC gespielt. Dazu fehlt mir als Boomer mit familiären Verpflichtungen schlichtweg die Zeit. Ich spiele Balatro auf dem Handy in der Bahn, und sonst eigentlich nicht. Aber selbst günstige Smartphones kommt mit dem Spiel erstaunlich gut klar. Gelegentlich sorgen aufploppende Chats für Verlangsamungen, manchmal ist das Bewegen der einzelnen Karten oder Booster im Shop per Drag-and-Drop etwas mühsam, aber darüber hinaus gibt es keinerlei technische Probleme.
Mein Fazit ist demnach uneingeschränkt positiv, wobei vor allem der erfrischend ehrliche Vertrieb des Spiels mich gewonnen hat. Im Jahr 2024 einfach ein Spiel zu verkaufen – und die Monetarisierung danach ruhen zu lassen – das stimmt einen alternden Gamer extrem positiv. Wer also mit dem Gedanken gespielt hat, sich Balatro mit dem zweiten Hype-Zyklus rund um die Veröffentlichung des Spiels via App Store mal vorzuknöpfen, der sollte das unbedingt tun.