Benjamin Whitmer: Nach mir die Nacht
Der beste Country-Noir seit langem: „Nach mir die Nacht“ von Benjamin Whitmer
Wenn man seine Frau fesselt und für ’nen Tag in der Badewanne parkt, kann mit der Beziehung irgendwas nicht stimmen. Doch der ständig mit Crystal Meth zugedröhnte Chase hat sowieso aufgegeben, mit seiner Frau Mel oder der abgefuckten Welt da draußen klarkommen zu wollen. Zum Glück befreit der zufällig vorbeikommende Patterson die Frau, und Chase bekommt von Mel den verdienten Hieb mit dem Baseballschläger. Hier im San-Luis-Valley nahe Denver ist man anscheinend generell skeptisch gegenüber gewaltlosen Konfliktlösungen eingestellt: Auch Patterson zieht gern mal seine 45er hinten aus dem Hosenbund, wenn ihm jemand dumm daherkommt. Dabei ist er noch einigermaßen auf der Spur, hat einen Job als Baumroder in Katastrophengebieten und betäubt die Trauer über den Tod seines Sohnes, indem er ihm in einem Schulheft liebevolle Briefe schreibt. Patterson besucht seinem Freund Henry und lernt dessen Sohn Junior kennen. Koksnase Junior mit seinem Mossberg-Selbstlader, der seinen Vater für den Tod seiner Mutter verantwortlich macht, zieht bald schon mit Patterson durch die Gegend. Bourbon, Blow und Biker-Bars: Fick dich, Vergangenheit! Doch spätestens als die beiden zugeknallt wieder auf Chase treffen, bricht sich ihr Hass auf die Ungerechtigkeit der Welt seinen Weg und ist nicht mehr zu stoppen.
Benjamin Whitmer erzählt die eindringliche Geschichte von Vätern und Söhnen, denen durch tragische Verluste jegliche Fähigkeit entglitten ist, Zuneigung, Schuldgefühle oder Trauer zu artikulieren. In ihrer Hilflosigkeit versuchen sie, ihre tiefe Einsamkeit mit Drogen, Alkohol und harter Arbeit zu betäuben. Sie verstecken sich vor ihrer Sprachlosigkeit, und nur in verzweifelten Gewaltausbrüchen finden sie ein Ventil für die aufgestauten Gefühle. Weil Whitmer es versteht, die Unausweichlichkeit des Scheiterns und Splatter in dunkler Poesie zu vereinen, ist ihm der beste Country-Noir seit langem gelungen. nh
Benjamin Whitmer Nach mir die Nacht
Polar Verlag, 2016, 308 S., 14,90 Euro
Aus d. Engl. v. Len Wanner