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Irgendwie da durch

Bright Eyes
(Shawn Brackbill)

Wenn Conor Oberst nach fast zehn Jahren endlich Bright Eyes reaktiviert, ist das vor allem seiner Mutter zu verdanken.

„Es gibt schon Tage, an denen mir Aufgeben durchaus als Option erscheint“, sagt Conor Oberst – und sofort wird klar, wie überlebenswichtig es ist, dass nach neun Jahren nun doch noch ein neues Album von Bright Eyes, das mittlerweile zehnte, erscheint. Nach der Tour zu „The People’s Key“ aus dem Jahr 2011 hatte Oberst das Projekt für beendet erklärt, das er mit gerade mal 15 ins Leben gerufen und über all die Jahre mit seinen Ängsten und Daseinsschmerzen gefüttert hatte.

Damals schien er irgendwie angekommen: Er hat geheiratet, ein etwas ruhigeres Leben in seinem Haus in Omaha war durchaus verlockend, und musikalisch gab es ja noch seine Soloplatten, die Emopunkband Desaparecidos und ständig neue Projekte wie zuletzt etwa Better Oblivion Community Center mit Phoebe Bridgers. Doch dann passierten Dinge, wegen denen er das zurückliegende Jahrzehnt als die bisher schlimmste Phase seines Lebens bezeichnet: Sein älterer Bruder Matt stirbt und hinterlässt zwei kleine Kinder, die Ehe mit der Mexikanerin Corina Figuerosa Escamilla geht in die Brüche, und vor allem sind da die Behauptungen einer Frau, Oberst habe sie nach einem Bright-Eyes-Konzert im Backstagebereich vergewaltigt.

Conor Oberst: „Bright Eyes ist ein Sicherheitsnetz“

Zwar hat die Anklägerin bereits nach einigen Monaten zugegeben, die Anschuldigungen frei erfunden zu haben, doch Oberst, der sich selbst als Feminist definiert, schleppt diesen Vorfall nach wie vor mit sich rum. „Für uns alle drei ist Bright Eyes ein Sicherheitsnetz, das uns auch in dunkelsten Zeiten aufzufangen vermag“, sagt Oberst und verweist auf seine engen Freunde Nate Walcott und Mike Mogis, die seit vielen Jahren als feste Mitglieder von Bright Eyes geführt werden und zu der Zeit der Reunion mit ähnlichen privaten Problemen zu kämpfen haben.

Tatsächlich war es eine Weihnachtsparty im Jahr 2017, die Bright Eyes reanimiert hat. „Wir haben in Nates Haus in LA gefeiert, und nachdem Nate und ich uns darüber ausgetauscht haben, wie wichtig und essenziell es für uns wäre, wieder gemeinsam Musik zu machen, haben wir uns ins Badezimmer zurückgezogen, um von dort bei Mike in Omaha anzurufen“, erzählt Oberst. Wenn das mit 14 Songs sehr üppige Comebackalbum nun erscheint, ist nicht nur der Gesang von Oberst so wundersam vertraut, der auch mit 40 noch diese brüchige Jungsstimme hat.

„Down in the Weeds, where the World once was“ referenziert die Bright-Eyes-Vergangenheit: den LoFi-Charme von „Fever and Mirrors“, die Studio-Raffinesse von „Digital Ash“ und von „Cassadega“ die orchestrale Wucht. Doch natürlich entwickeln sie den eigenen Sound auch weiter, indem sie mit Jon Theodore am Schlagzeug und Red-Hot-Chilli-Peppers-Bassist Flea neue Ideengeber ranholen oder etwa bei „Persona non grata“ erstmals mit Dudelsäcken arbeiten.

„Für mich ist am wichtigsten, dass die neuen Stücke nicht nur auf meinen Ideen basieren, sondern im Zusammenspiel mit Mate und Mike entstanden sind“, sagt Oberst. Wenn der dräuende Popsong „Pan and Broom“ das Zeug hat, die Nachfolge von „Lover I don’t have to love“ anzutreten, so ist das der Ping-Pong-Arbeitsweise von Walcott und Oberst geschuldet, und mit „Dance and sing“ schiebt Oberst auch die Credits für einen weiteren Höhepunkt der Platte seinem Kollegen rüber.

„Bei mir wäre das Stück nur wieder ein reduzierter Folksong geworden, doch wie Nate das Stück verkompliziert und sogar einen Gospelchor eingebaut hat, musste ich plötzlich an Louis Armstrong denken.“ Spricht man Oberst aber auf die Texte an, wird er zurückhaltender. „Für mich ergibt es nur Sinn, beim Schreiben komplett offen zu sein und alles zuzulassen. Vermutlich ist es da ein Selbstschutz, dass ich das alles für mich selbst gar nicht so genau analysiere.“

Da sind die Songs vom Ende einer Ehe, man steht am Grab eines Bruders, in der Tradition früherer Protestsongs hadert „Mariana Trench“ mit der politischen Situation in den USA – und schließlich postuliert „Forced Convalescence“, dass Heilungsprozesse eben nicht geradlinig verlaufen und man immer wieder an ganz ähnlichen Stellen ins Stolpern geraten kann. Vielleicht liegt die Erklärung ja in dem schrägen Eröffnungssong, dass das neue Bright-Eyes-Album dennoch so viel Hoffnung macht.

„Pageturner’s Rag“ wurde in Obersts eigenen Bar in Omaha aufgenommen, seine Ex-Frau kündigt dem Publikum an, dass es nun mit seinen schlimmsten Albträumen konfrontiert werde, man hört ein Saloon-Piano – doch das letzte Wort hat Obersts Mutter Nancy: „We have to hold on.“ Oberst zögert kurz, lenkt dann aber lachend ein: „Klar, ich höre immer auf meine Mutter“, sagt er, und er hat ihre Haltung auch in dem auf das Intro folgenden Stück „Dance and sing“ aufgegriffen.

„Es ist natürlich eine Platte über Verluste und Widerstandsfähigkeit. Manchmal ist es schwer, bei den überwältigenden Gefühlen der Verzweiflung die eigenen Fortschritte auszumachen. Aber ich will nicht aufgeben und bin es mir selbst, meiner Familie und meinen Freunden schuldig, zu kämpfen und zu versuchen, da irgendwie durchzukommen.“

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